Bundespräsidenten und Nationalsozialismus

16. April 2025  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Bundespräsident Richard von Weizsäcker (mitte) während des Staatsbesuchs von US-Präsident Ronald Reagan, 2. Mai 1985 (Bundesarchiv, Marie-Josefine Jirka, CC BY-SA 3.0 de)

Wie gingen die Bundespräsidenten, die selbst im Dritten Reich groß geworden sind und gelebt haben, mit dem Nationalsozialismus um? Der Historiker Norbert Frei spricht darüber in dem Vortrag „Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit“ des Berliner Dokumentationszentrums Topografie des Terrors.

NSDAP im Präsidialamt

Nationalsozialistische Kontinuitäten finden sich auch im Bundespräsidialamt. So war der ehemalige Chef der Institution des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik, Manfred Klaiber, 1934 der NSDAP beigetreten. Sein Nachfolger im Amt, Karl Theodor Bleek war ebenfalls in Hitlers Partei. Aus der obersten Riege der Ministerialbürokratie war rund die Hälfte NSDAP-Mitglied. Doch wie sah es mit den Bundespräsidenten selbst und deren Umgang mit der nationalsozialistischen Zeit aus?

Gesellschaft der Volksgenoss*innen

Theodor Heuss, der erste Bundespräsident (1949-59), hatte 1933 als Reichstagsabgeordneter der Deutschen Staatspartei für das Ermächtigungsgesetz und somit den Beginn von Hitlers Diktatur gestimmt. In der Nachkriegsgesellschaft sah er sich verschiedenen Strömungen gegenüber. Einerseits war da der Großteil der aus der einstigen Volksgemeinschaft entlassenen Volksgenoss*innen, die eine aktive „Persilschein-Politik“ betrieben. Dem standen anfangs die Alliierten entgegen, die auf Entnazifizierung und mittels der Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozesse und der Nachfolgeprozesse auf eine Aufarbeitung der NS-Massenverbrechen setzten. Die aus dem Exil zurückgekehrten politischen Verfolgten hatten an den Bundespräsidenten ebenfalls Forderungen für eine neue Gesellschaft.

Hilfe für SS-Obersturmbannführer

Heuss sprach sich 1949 vor der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegen eine Kollektivschuld der Deutschen am Nationalsozialismus aus – stattdessen müsse man zu einer Kollektivscham stehen. Zugleich setzte er sich für den Einsatzgruppenführer Martin Sandberger ein, der als einer der Haupttäter des Völkermords im Baltikum von den Amerikanern eigentlich zum Tode verurteilt worden war. Das Urteil wurde jedoch in lebenslange Haft umgewandelt – auf Betreiben von Heuss wurde der SS-Obersturmbannführer 1958 entlassen. Nach ihm sollten sich auch alle anderen Bundespräsidenten für die Freilassung inhaftierter NS-Größen stark machen.

Häftling und Ingenieur

Heinrich Lübke (1959-69) war als linker Zentrumspolitiker vor allem dem agrarpolitischen Flügel der NSDAP im Wege gestanden, was nach der Machtübertragung zu einer 20-monatigen Untersuchungshaft wegen „Korruption“ führte. Während des Krieges arbeitete er im Ingenieurbüro der Baugruppe Schlemp, wo auch Baracken für Zwangsarbeiter*innen in der Rüstungsindustrie entworfen wurden. Diese wurden etwa in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde errichtet, wo die „Wunderwaffe“ V2 produziert wurde. Die SED benutzte von ihm unterzeichnete Baupläne, um ihn als Baumeister von Konzentrationslagern zu stilisieren, was jedoch eine klare Übertreibung der Sachlage darstellt. Während seiner Amtszeit erkrankte Lübke aller Wahrscheinlichkeit nach an Demenz.

NSDAP und Bundespräsident

Gustav Heinemann (1969-74) trug als Syndikus der Rheinischen Stahlwerke durch seinen Posten zum Fortbestand der Wirtschaft des Dritten Reichs bei. Allerdings initiierte er auch den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, der schließlich auch Fragestellungen wie „Alltag im Nationalsozialismus“ umfasste und so den Verstrickungen der eigenen Familien der Schüler*innen nachging. Da Walter Scheel (1974-79) als Liebling der Unterhaltungsindustrie auch die sozialliberale Presse auf seiner Seite hatte, fragte niemand nach der NS-Vergangenheit. Erst, als der Vorsitzende der Unionsfraktion Karl Carstens (1979-84) als möglicher Bundespräsident ins Gespräch kam und dessen NSDAP-Mitgliedschaft als junger Rechtsreferendar publik wurde, kam auch die NSDAP-Zugehörigkeit Scheels ans Licht. Scheel reagierte darauf mit der Aussage, dass er sich nicht daran erinnern könne.

„Tag der Befreiung“

Der Amtsantritt Richard von Weizsäckers (1984-94) geschah nach der Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust“ (1979), die die nationalsozialistischen Verbrechen einer breiten Bevölkerungsschicht bewusst machten. Sein Vater war 1946 als Brigadeführer der SS wegen der Deportation französischer Jüd*innen nach Auschwitz in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt worden. Am 5. Mai 1985 besuchten Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan bei Bitburg einen Soldatenfriedhof mit Gefallenen der Waffen-SS. Am 8. Mai hielt Weizsäcker im Bundestag eine Rede, in der er erklärt: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit vor dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Diese Formulierung hatte zehn Jahre vorher bereits Walter Scheel verwendet, was aber niemanden interessiert hatte. Erst 40 Jahre nach Kriegsende war die deutsche Gesellschaft so weit, dass die Worte Weizsäckers weitgehender Konsens wurden.

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