
Wie sich der 8. Mai in der bundesdeutschen Geschichte gewandelt hat und wie die Rechtsverschiebung auch heute spürbar ist zeigen Tim Schleinitz und Constantin Hühn in ihrem Vortrag „Von dem Anschluss der DDR bis heute: Die umkämpfte Deutung des 8. Mai“.
Deutschland gegen Ausländer*innen
Zum 8. Mai 1995 hatte Bundespräsident Roman Herzog (CDU) erklärt, dass autoritäre Ideen bei der Mehrheit der Deutschen keine Chance hätten. Dabei stieg die Zahl gemeldeter Gewalttaten von 300 im Jahr 1990 auf über 2.600 im Jahr 1992. In den Jahren nach der Wiedervereinigung kam es zu zahlreichen rechtsterroristischen Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten, Vertragsarbeiter*innen oder Menschen mit Migrationsgeschichte. Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen oder Solingen sind nur einige Beispiele der damaligen gesellschaftlichen Atmosphäre.
Konservative hetzen
Verbale Gewalt wurde in der Kohl-Ära von konservativen Regierungsparteien ausgeübt, die seit den 80ern mit Begriffen wie „Asylflut“ oder „Überfremdung“ Stimmung gegen Asylbewerber*innen machten. 1993 beschloss die Bundesregierung die Verschärfung des Asylrechts. War der 8. Mai für die Regierenden ein Tag, an dem man auch die Vertreter*innen der Siegermächte Russland, Frankreich, Großbritannien und USA einlud, galt die bundesdeutsche Erinnerungskultur der Extremen Rechten samt der „Befreiung vom Nationalsozialismus“ als Fortsetzung des Weltkrieges mit anderen Mitteln.
Forschung als „Diffamierung“
Der „Welt“-Autor Rainer Zitelmann, der auch für die FAZ schrieb, kritisierte in einem Artikel ebenfalls den 8. Mail als „Tag der Befreiung“. Denn dieses Datum hätte auch „Vertreibungsterror“ für Deutsche und den Beginn der Teilung „unseres Landes“ bedeutet. Eine Geschichtserzählung, die dies ausblende, laufe einer selbstbewussten Nation wie der deutschen zuwider. 1995 dokumentierte die Wehrmacht-Ausstellung zahlreiche Kriegsverbrechen der deutschen Armee und ihre Beteiligung am Holocaust. Alfred Dregger, Ehrenvorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, sah in der wissenschaftlichen Konzeption des Hamburger Sozialforschungsinstituts eine Diffamierung der Wehrmacht.
Erinnern als „Moralkeule“
Bei der Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sprach der Schriftsteller Martin Walser (NSDAP-Mitgliedsnummer 9.742.136) in seiner Rede von Auschwitz als einer „Moralkeule“ und erhielt für die Kritik an der deutschen Erinnerungskultur stehenden Applaus. 2002 lud Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den umstrittenen Autor zu einer Debatte über „Deutschland als normale Nation“ ein. 1999 befürwortete Außenminister Joschka Fischer (B90/Grüne) die Beteiligung deutscher Soldat*innen am Kosovokrieg, damit es nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord gebe.
Aus Täter*innen werden Opfer
Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, behauptete am 8. Mai 2000, dass es es nach dem Kriegsende „Vernichtungslager für Millionen von Deutschen“ gegeben habe. Bundeskanzler Schröder erkannte die deutschen Vertriebenen als übersehene „Opfer der NS-Herrschaft an, so dass die gesellschaftlichen Ursachen des Nationalsozialismus in den Hintergrund traten.
AfD und Nationalsozialismus
Björn Höcke (AfD) charakterisierte 2017 in Dresden die Rede Richard von Weizäckers zum 8. Mai als gegen das eigene Volk gerichtet. Demgegenüber forderte er eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Sein Parteikollege Alexander Gauland erklärte, man müsse wieder stolz auf die Leistungen der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg sein können. Und Alice Weidel (AfD) bezeichnete 2025 Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk als einen „Kommunisten“. Bei ihren Wahlkampfauftritten kam es zu Slogans wie „Alice für Deutschland“, die stark an die verbotene SA-Parole „Alles für Deutschland“ erinnern.
Konservative und Rechtsextreme
Am 29. Januar 2025 stimmten Union und FDP gemeinsam mit der AfD im Bundestag für einen Anti-Migrationsplan der Union. Daraufhin gab der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg sein Bundesverdienstkreuz zurück. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 erhielt die AfD über 20 Prozent der Stimmen. Ein Zeichen gegen deren Geschichtsrevisionismus könne ein bundesdeutscher Feiertag am 8. Mai sein, wie die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano gefordert hatte.
Weiterführende Links:
- RLS (14.5.2025): Von dem Anschluss der DDR bis heute. Die umkämpfte Deutung des 8. Mai – https://www.youtube.com/watch?v=AZoMhhiv9AE
- Die Linke SC-RH (21.5.2025): Der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/geschichte/der-8-mai-als-tag-der-befreiung/
- Die Linke SC-RH (16.4.2025): Bundespräsidenten und Nationalsozialismus – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/geschichte/bundespraesidenten-und-nationalsozialismus/
- Tim Schleinitz und Constantin Hühn: Kontroverse und Kanonisierung: Die umkämpfte Deutung des 8. Mai – https://www.rosalux.de/mediathek/media/collection/425