
Das jüdische Erbe in der sozialistisch-kommunistischen Bewegung und der Antisemitismus der Sowjetunion beleuchtete die Veranstaltung „Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken“. Die Diskussion, unter anderem mit Bodo Ramelow, wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) organisiert.
Vordenker Moses Hess
„Wenn man Karl Marx verstehen will, muss man sich erst mit Moses Hess beschäftigen“, erklärte Bodo Ramelow. Denn dieser hätte die Grundlagen des Sozialismus und Kommunismus gelegt, so der ehemalige Ministerpräsident (Die Linke) von Thüringen. Allerdings sei der jüdische Denker in der heutigen Rezeption weitgehendst verschwunden, obwohl er als einer der ersten das Ziel zur Befreiung des Menschen formuliert hätte.
Konflikt mit Kommunistischer Partei
Eine Strömung, die ihn selbst stark beeinflusst habe, seien die Bundisten des Allgemeinen jüdischen Arbeiterbunds in Litauen, Polen und Russland gewesen, erläuterte Ramelow. Denn diese setzten sich mit ihrer säkular-sozialistischen Ausrichtung im Zarenreich für die Schaffung von Bürger- und gewerkschaftlichen Arbeitsrechten ein. Nach der Russischen Revolution gerieten sie jedoch in Konflikt mit der autoritären Kommunistischen Partei und emigrierten zu großen Teilen ins amerikanische Exil.
Sozialismus ist international
Wie die Bundisten trat auch die in einer jüdischen Familie geborene Rosa Luxemburg nicht für die Errichtung eines polnischen Nationalstaats ein, sondern strebte als Internationalistin die Befreiung aller Arbeiter*innen – über die Landesgrenzen von Polen, Litauen und Russland hinaus – an. Nachdem Josef Stalin sich im Machtkampf um die Nachfolge von Lenin durchgesetzt hatte, begann er, seine ehemaligen jüdischen Mitstreiter*innen mit antisemitischen Säuberungen aus der Partei zu drängen.
Keine NS-Aufarbeitung in DDR
„Der Tiefpunkt dieser stalinistischen Verfolgung von kommunistischen Jüd*innen stellte der Slánský-Prozess von 1952 dar“, sagte Ramelow. Kritisch sah er auch die Selbstdarstellung der DDR als antifaschistischen Staat. „Die SED lies Akten zur NS-Euthanasie im ,Giftschrank‘ verschwinden, weil man nicht gegen die renommierten Ärzt*innen im eigenen Gesundheitssystem Anklage erheben wollte“, erinnerte er an eine fehlende Aufarbeitung faschistischer Verbrechen im Arbeiter- und Bauernstaat.
„Kämpfer*innen vs. „Opfer“
Viele Jüd*innen hätten sich als antifaschistische Kommunist*innen verstanden und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einen Neuanfang gesucht, um das Land mitzugestalten, erläuterte Angelika Timm. Doch standen in der staatlichen Erinnerungskultur die „kommunistischen Kämpfer*innen“ im Mittelpunkt, während die „jüdischen Opfer“ eher als zweitrangig gesehen wurden. „Das schlug sich auch in den Renten nieder“, blickte die ehemalige RLS-Leiterin des Israel-Büros auf erfolgte Entschädigungszahlungen. Wobei ein gleichberechtigtes Wiedergutmachungsgesetz am Widerstand der sowjetischen Militärverwaltung scheiterte.
Staatlicher Antisemitismus
Der Slánský-Prozess in der Tschechoslowakei, im Zuge dessen vor allem Jüd*innen verhaftet und ermordet wurden, sei dezidiert die Politik Stalins gewesen. Auch in der DDR seien daraufhin Parteifunkionär*innen festgenommen und von der Staatssicherheit verhört worden. „Daraufhin haben hunderte Jüd*innen die DDR verlassen, weil sie Parallelen zum staatlichen Antisemitismus der 1930er Jahre fürchteten“, erklärte Timm. Doch gingen viele von ihnen nicht in die benachbarte Bundesrepublik, in welcher der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze Hans Globke die rechte Hand von Bundeskanzler Konrad Adenauer war, sondern nach Mexiko. „Mit der Vorbereitung der ,Ärzteprozesse‘ 1953 in der Sowjetunion kam es zu einem staatlich verordneten Antisemitismus“, beschrieb sie die Situation kurz vor Stalins Tod. Unter seinem Nachfolger setzte sich dann die Meinung durch, dass man nicht mit dem Staat Israel zusammenarbeiten könne.
Politikum Sechstagekrieg
„Ein kommunistischer Gewerkschafter hat mich und meine Mutter versteckt“, blickte der 1944 in Sachsen-Anhalt geborene Reinhard Schramm zurück. In der SBZ konnte der Junge, der bis auf seine Mutter alle Familienangehörigen durch die Shoah verloren hatte, zur Schule gehen. „Meine Mutter glaubte, dass der Sozialismus in der DDR eine Alternative zum Faschismus sei“, beschrieb er ihre politische Haltung. Das Studium der Elektrotechnik absolvierte der heutige Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen in der Volksrepublik Polen. Als 1967 der Sechstagekrieg ausbrach, sei ein SED-Mitglied an seine Hochschule gekommen und hätte ihn aufgefordert, den israelischen Angriff auf die arabischen Nachbarstaaten zu verurteilen.
„Habe in DDR gepasst“
„Mit meiner sozialistischen Grundhaltung habe ich gut in die DDR gepasst“, zog der frühere Dozent an der Technischen Universität Ilmenau Bilanz. Andere jüdische DDR-Bürger*innen hätten hingegen bewusst betont, aus dem Judentum „ausgetreten“ zu sein. „Der Vater von Wolf Biermann ist als Jude in Auschwitz umgekommen“, erinnerte Schramm. Doch habe die Staatsführung seinen Sohn, nachdem dieser nach einem Besuch in der Bundesrepublik in die DDR zurückkommen wollte, ausgebürgert.
Weiterführende Links:
- RLS (10.1.2025): Eine vergessene Allianz? Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken – https://www.youtube.com/watch?v=_f7Dwv3qkqs
- Die Linke SC-RH (23.10.2022): Linke Perspektiven auf Antisemitismus – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/gesellschaft/linke-perspektiven-auf-antisemitismus/
- Die Linke SC-RH (5.5.2022): Karl Marx und der Antisemitismus – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/geschichte/karl-marx-und-der-antisemitismus/