Massenpsychologie des Faschismus

28. Juli 2024  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Eine offene Sexualmoral, um der autoritären Erziehung und somit dem Faschismus vorzubeugen, sind Schwerpunkte des Buches „Massenpsychologie des Faschismus“. Die 39. Folge des Theorie-Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigte sich mit dem Psychoanalytiker Wilhelm Reich.

Soldat und Psychoanalytiker

Wilhelm Reich wurde 1897 in eine säkulare jüdische Familie im zum Habsburgerreich gehörenden Galizien hineingeboren. Als Sohn von Gutsbesitzenden ging er zuerst aufs Gymnasium und trat danach in die k.u.k-Armee ein, in der er im Ersten Weltkrieg kämpfte. Nach der Niederlage studierte er in Wien Medizin und wurde dort in die Psychoanalytische Gesellschaft aufgenommen. 1922 promovierte Reich und praktizierte bis 1930 als Psychoanalytiker.

Kommunist und Publizist

Als Wiener Arbeiter*innen 1927 den Justizpalast in Brand steckten und es durch den Polizeieinsatz zu zahlreichen Toten kam, trat der Sozialdemokrat Reich auch der KPÖ bei. 1930 zog er nach Berlin, wo er den Deutschen Reichsverband für proletarische Sexualpolitik (Sexpol) gründete. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, die seine Schriften am 10. Mai 1933 öffentlich verbrannten, floh er über Dänemark nach Norwegen und schließlich in die Vereinigten Staaten. 1934 brachte er die Zeitschrift „Politische Psychologie und Sexualökonomie“ heraus. Seine Annahme war, dass der Stau sexueller Energie zu sexueller Erlebnisunfähigkeit und somit Neurosen führen könne.

Mehr als nur höhere Löhne

In dem 1933 in Kopenhagen veröffentlichten Buch „Massenpsychologie des Faschismus“ erklärte Reich, die Arbeiter*innenklasse hätte mit dem Faschismus eine schwere Niederlage erlitten. Diese Aussage stellte für die KPD sowie die damalige Politik der Kommunistischen Internationalen eine Provokation dar. Diese wiederum bezeichnete Reichs Publikationen als „Schmutz- und Schundliteratur“. Für den Psychoanalytiker bestand ein Zusammenhang zwischen der Zustimmung zur NSDAP und der Konventionalität im Familienbereich. Einerseits müssten ideologische Prozesse in der Gesellschaft ebenso analysiert werden wie Ökonomie und Politik. Andererseits bedeute dies, über die klassischen sozialen Nöte der Arbeiter*innen hinaus aktiv zu werden.

Sexuelle Freiheit statt Kleinfamilie

Reich zufolge diene die Familie der Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse, wobei die Arbeiter*innenbewegung sich nicht mit den sexuellen Interessen der Jugendlichen beschäftige. Notwendig sei Aufklärung und sexuelle Freiheit, um eine autoritäre Orientierung zu verhindern. Familie und Ehe müssten kritisch hinterfragt werden, ausreichend Verhütungsmittel vorhanden sein sowie das Recht auf Abtreibung bestehen. Der Mediziner unterschied zwischen sexueller Befriedigung sowie genitaler Lust und der reinen Fortpflanzung. Ersteres sei häufig mit Unreinheit und Schmutz assoziiert, um die Kinder schon früh an die kleinbürgerliche Reproduktionslogik zu binden.

Weltraum-Energie statt Marx

In Reichs Augen stellte der Faschismus einen homosexuell-sadistischen Männerbund dar, der die revolutionären Tendenzen der Arbeiter*innen mit der Politik des nationalen Großkapitals verbinde. Im norwegischen Exil wandte er sich vom Marxismus ab und konzentrierte sich stattdessen auf kosmische Energie, mit der man, wie er vorgab, Krebs heilen könne. In den USA wurde er auf Betreiben der Drogenbehörde vor Gericht gestellt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, in deren Folge er 1957 in der Haft verstarb.

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