Das „Rote Wien“ – die sozialdemokratische Regierung von 1919 bis zur Zerschlagung 1934 durch den Austrofaschismus – war Schwerpunkt des Vortrags zur damaligen sozialen Wohnbau-Politik. Der Vortrag von Veronika Duma wurde vom Kurt-Eisner-Verein Bayern organisiert.
Arbeitsmigration in die Metropole
Durch die Industrialisierung zur Jahrhundertwende wuchs die Residenzstadt der k.u.k-Monarchie mit rund zwei Millionen Einwohnern (1900) zur fünftgrößten Stadt der Welt an. Die zugewanderten Arbeiter*innen wohnten meist in den Vorstädten, in denen auch die Fabriken standen, während die Innere Stadt mit ihren repräsentativen Prunkbauten den Regierenden vorbehalten war. Besonders die aus Böhmen und Mähren stammenden Arbeiter*innen der Ziegelwerke sollten einen großen Einfluss auf die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) haben. Die „Wieder Moderne“ unter dem christsozialen Bürgermeister Karl Lueger war sowohl von städtischen Großprojekten wie auch einem massiven Antisemitismus geprägt.
Umverteilung durch Luxussteuer
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg kam es zur Gründung der Republik sowie dem Allgemeinen Frauenwahlrecht. Dies führte dazu, dass die Sozialdemokratie bis 1934 stets die absolute Mehrheit im Stadtparlament errangen. 1920 schrieb die Große Koalition den 8-Stunden-Tag, das Betriebsrätegesetz und den bezahlten Urlaub fest. „Zentrale Punkte der Kommunalpolitik waren der Wohnungsbau, Investitionen in die soziale Infrastruktur und Vergesellschaftung von Kindergärten“, beschrieb die Historikerin die Agenda. Finanziert wurde dies durch steuerliche Umverteilung, vor allem mittels einer „Luxussteuer“ auf Automobile, Dienstpersonal, Pferderennen und Luxusgüter. Die rechte Presse und Parteien verunglimpften den Finanzstadtrat Hugo Breitner daraufhin als jüdischen „Steuerbolschewist“.
Mietkosten nur 4 Prozent
Neben der Umfunktionierung von Kasernen und Hotels zu Wohnungen kam es zum großflächigen Kauf von Grundstücken in den einzelnen Stadtteilen. Bis 1934 wurden im Bebelhof, dem Leopoldine Glöckel-Hof, dem Sandleitenhof oder dem Pestalozzi-Hof bis zu 61.000 Wohnungen für rund 200.000 Menschen errichtet. Da die Vermietung nicht gewinnorientiert erfolgte, betrug die Miete lediglich 4 Prozent eines Arbeiter*innenlohns. (2023 mussten Münchener*innen bis zu 35 Prozent ihres Einkommens für die Mietkosten zurücklegen).
Die „Superblocks“
Die mehrgeschossigen Wohnblöcke umfassten begrünte Innenhöfe, Kindergärten und andere Bildungseinrichtungen, Konsumgenossenschaften zum Einkaufen und gemeinschaftliche Waschküchen. „Die Wohnungen mit Toilette, Beleuchtung und fließendem Wasser waren etwa 40 m² groß und zeichneten sich durch verschiedene Kunststile aus“, erläuterte Duma das Konzept. Der Karl Marx-Hof beherbergte etwa 1.382 solcher Wohneinheiten. Die Architektin Margarete Schütte Lihotzky entwarf eigens einen Herd als Betonguss-Fertigmodell, der Wasseranschluss, Spülbecken, Waschherd, Herd und Wanne in einem enthielt. In anderen Häusern, etwa dem Heimhof, wurde gemeinschaftlich in Großküchen gekocht.
Kitas und Freibäder
Neben dem Wohnungsbau fokussierte sich die Stadtregierung auf die Bekämpfung der Tuberkulose, der Einführung von Schulärzt*innen und dem Bau zahlreicher Kinderbetreuungseinrichtungen. Das Säuglingswäschepaket sorgte dafür, dass Neugeborene eine kostenlose Erstausstattung bekamen. Viele neueröffnete Freibäder förderten den Schwimmsport, im Bildungsbereich trieb man neben dem Gesamtschulmodell mit reformpädagogischen Methoden auch die Erwachsenenbildung mit den Volkshochschulen voran. „Lesekreise und Bibliotheken wurden ebenso etabliert wie Arbeiter*innentheater und Musikvereine“, zählte die Wissenschaftlerin auf.
Putsch und Ermächtigungsgesetz
Auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 reagierte die österreichische Bundesregierung mit einer massiven Austeritätspolitik, so dass auch die Wiener Stadtregierung Kürzungen im Bereich des Wohnungsbaus und der Arbeitslosenunterstützung vornehmen musste. Im März 1933 traten nach Protesten der gegnerischen Parteien die Nationalratspräsidenten der SDAP, der Christlich-sozialen Partei (CS) sowie der Deutschnationalen Gruppierung zurück. Der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (CS) verhinderte daraufhin mit Waffengewalt das erneute Zusammenkommen des Parlaments und regierte seither mit einem Ermächtigungsgesetz aus Kriegszeiten diktatorisch.
Der Österreichische Bürgerkrieg
Schnell wurde der Republikanische Schutzbund, die paramilitärische Organisation der SDAP, ebenso wie die Kommunistische Partei Österreichs, verboten. Im Februar 1934 wehrten sich Sozialdemokrat*innen gegen die Räumung eines Waffenlagers in einem Parteiheim, so dass es zum kurzzeitigen Österreichischen Bürgerkrieg kommt. Daraufhin wurde die SDAP ebenfalls verboten und die sozialdemokratische Stadtregierung Wiens verhaftet. „Dollfuß beendete die sozialen Reformen wie das Wohnungsbauprogramm und schaffte die Luxussteuer ab“, erläuterte Duma das Ende des „Roten Wiens“.
Weiterführende Links:
- Kurt Eisner Verein (17.4.2021): «Das rote Wien». historische Betrachtung der sozialen Wohn(bau)politik – https://www.youtube.com/watch?v=vJ_sc9tOF_0
- Deutschlandfunk (3.5.2024): Gemeinderatswahlen 1919. Das „Rote Wien“ – https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/oesterreich-das-rote-wien-1919
- Die Linke SC-RH (20.6.2024): Armutszeugnis. Wohnungskrise – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/politik/armutszeugnis-wohnungskrise/