Deutschland macht die Grenzen dicht

08. Mai 2025  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Frontex-Grenzbeamte bei einem gemeinsamen Einsatz der Agentur mit Nordmazedonien, 2023 (gemeinfrei)

Warum sich breite Bevölkerungsteile autoritären Ideen zuwenden, erklärt der Sozialwissenschaftler Stephan Lessenich gegenüber Medico International. Anteil an dieser Rechtsverschiebung haben neben der AfD auch Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz.

„In großem Stil abschieben“

„Die Mentalität, nach unten zu treten, spricht für präfaschistische Zeiten“, hält Stephan Lessenich die aktuelle Situation fest. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte verkündet: „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“, unter der Ampel-Regierung kam es zu dramatischen Einschränkungen des Asylrechts und laut der aktuellen Leipziger Autoritarismus-Studie gaben ein Drittel der Befragten an, dass Deutschland überfremdet sei.

Bankenkrise und Pandemie

Einen Grund für diese Entwicklung sah der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung in der Finanzkrise von 2007/8, die die „Normalität“ von Wohlstand in den westlichen Industriestaaten in Frage stellte. In Kombination mit dem spürbar werdenden Klimawandel und den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie befinde sich die Gesellschaft in einem „nervösen Zeitalter“, wie es auch 1914 in Europa der Fall gewesen war. Dies biete Raum für Chauvinismus und Antiliberalismus.

Erfolg durch Ausbeutung

Sei man schockiert darüber, dass Donald Trump, Javier Milei oder Marine Le Pen die staatlichen Institutionen zerstören wollten, müsse man sich vergegenwärtigen, dass die Vorarbeit dazu von sozialdemokratischen Parteien geleistet worden war. Deren neoliberale Transformation des Wohlfahrtsstaates hätten den Rechtspopulisten überhaupt erst den Weg geebnet. „Der deutsche Wohlfahrtsstaat basiert auf billigen Rohstoffen und der Ausbeutung anderer Erdteile“, erinnerte der Sozialwissenschaftler. Nur so habe man in der Bundesrepublik hochpreisige Produkte herstellen können, deren Gewinne innerhalb der nationalen Gemeinschaft in gewissen Maßen umverteilt wurden.

Wirtschaftsmodell am Ende

Der Wunsch nach einer stabilen Gesellschaft, auch wenn die weltweiten Umstände das gar nicht mehr hergäben, sei immer noch sehr stark. Der Ursprung liege im Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit sowie dem Hin- und Herpendeln zwischen christ- und sozialdemokratischen Regierungen, um so die Massenmobilisierung und den Vernichtungswillen im Nationalsozialismus hinter sich zu lassen. „Es kann zu großen Wohlstandverlusten kommen“, mahnte Lessenich, da man dieses extrahierende deutsche Wirtschaftsmodell unter den aktuellen geopolitischen Gegebenheiten nicht mehr fortschreiben könne.

Wunsch nach Weltgeltung

Das Infragestellen bisher geglaubter Sicherheiten bereite vielen Menschen Sorgen. Oftmals komme es als Antwort darauf zu aggressiven Reaktionen, die als „Extremismus der Mitte“ gelesen werden können. Zwar stimmten viele Wähler*innen der AfD, die sich klar gegen den Sozialstaat und Hilfe für Schwächere positioniere, gegen ihre eigenen materiellen Interessen. Allerdings würden diese Menschen mit ihren symbolischen Interessen nach Geltung und Großmanntum von diesen rechten Programmen sehr wohl angesprochen. So setze sich die Partei dafür ein, dass gesellschaftliche Privilegien weiterhin ihre Gültigkeit behalten sollen und man als Individuum Teil des Weltmarktführers Deutschland bleiben werde.

Die gewalttätige Gesellschaft

„Nach 40 Jahren neoliberaler Gesellschaftsumformung klingen linke Alternativen nach ,Solidarität‘ vollkommen absurd“, sprach er die ideologische Durchdringung der Menschen an. Wahrscheinlicher sei für ihn ein Ansteigen individueller und institutioneller Gewalt. Denn nur so könne eine Gesellschaft, die auf Auslagerung sozialer und ökonomischer Kosten begründet ist, und sich von Zuwanderung abschotte, aufrecht erhalten werden.

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