Klassismus in Deutschland

15. Juni 2025  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Die meisten Menschen müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten und gehören somit der „Working-class“ an. REWE-Markt in Tauberbischofsheim, 2022 (Triplec85, CC BY-SA 4.0)

Wie arme Menschen in unserer Klassengesellschaft benachteiligt werden, zeigte Marlen Hobrack in ihrem Vortrag „Die Mär von der Chancengleichheit. Klassismus verstehen“ auf. Diesen hielt sie bei der Stiftung Demokratie Saarland.

Ein Leben in Armut

„Bei Monopoly haben die Spieler*innen die gleichen Startvoraussetzungen – entscheidend ist eine gute Strategie und viel Würfelglück“, bezog sich Marlen Hobrack auf ein bekanntes Gesellschaftsspiel. In der gesellschaftlichen Realität sei es jedoch so, dass Person 1 das volle Startkapital erhalte, Person 2 die Hälfte und Person 3 gar nichts. Denn in der Klassengesellschaft hätten einige reiche Eltern, viele werden in die Mittelschicht hineingeboren, andere jedoch in die Armut. „Wenn Arme in unserer Gesellschaft gar keine Chance auf sozialen Aufstieg haben, bezeichnet man das als Klassismus“, erklärte sie. Das schließe auch die strukturelle Benachteiligung einer Person aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit ein.

Das Märchen vom Aufstieg

Die neoliberale Erzählung behaupte, dass jeder den Aufstieg allein durch persönliche Leistungsbereitschaft bewältigen könne. „Wer an einer amerikanischen Elite-Universität studieren möchte, braucht entweder sehr reiche Eltern oder muss sich über viele Lebensjahre hinaus hoch verschulden“, konterkarierte Hobrack diese Ideologie. Auch brauche es in Deutschland im Durchschnitt sechs Generationen, bis jemand aus einer armutsbetroffenen Familie dauerhaft finanziell abgesichert sei.

Bildung und Stigmatisierung

Der Klassismus kam in den 70er Jahren bei US-Aktivist*innen auf, die jenseits der marxistischen Theorie über Klasse sprechen wollten. Dabei bedienten sie sich eines intersektionalen Ansatzes, der Klasse, Hautfarbe und Geschlecht verband. „Ein Dialekt, ausgeprägter Wortschatz oder grammatikalische Korrektheit weisen auf Bildungsstand und somit Klassenzugehörigkeit hin“, gab sie einige Beispiele. Oftmals würden auch Vornamen wie Kevin, Mandy oder Clara automatisch mit einem gewissen Bildungshintergrund verbunden. Klassische Abwertung erfolge häufig aufgrund des Äußeren, der Sprache oder des Namens.

Körper und Klassenzugehörigkeit

Auch sei es oft so, dass billiges Essen eher ungesund sei, also viel Fett, Salze und Zucker, aber wenig Vitamine oder Ballaststoffe enthalte. „Gesunde Lebensmittel kosten einfach mehr Geld“, brachte es die Medienwissenschaftlerin auf den Punkt. Dies führe häufig dazu, dass arme Menschen auch übergewichtig seien. Wer den ganzen Tag als Krankenpfleger*in auf einer Station schufte, habe darüber hinaus in der Freizeit kaum Zeit oder Energie, um regelmäßig joggen zu gehen, sprach sie belastende Arbeitssituationen an.

Klasse prägt Verhalten

Pierre Bourdieu hat diese verkörperte Klassenzugehörigkeit als „Habitus“ bezeichnet. Dies beeinflusse auch unsere Vorlieben, ästhetischen Geschmack oder sportliche Interessen wie Fußball, Tennis oder Golfspielen. Das kulturelle Verständnis hänge auch davon ab, ob man als Kind schon einmal in Museen gewesen war oder eher ins Blockbuster-Kino gegangen ist. „Wer acht oder zehn Stunden auf dem Bau gearbeitet hat, hat oftmals kaum Ressourcen mehr für anspruchsvolle Kultur-Debatten“, brach sie eine Lanze für Unterhaltungsfilme.

Abitur ist „Elternsache“

In der Schule können die unterschiedlich hohen kulturellen Kenntnisse auch die Bewertungen seitens der Lehrkräfte beeinflussen. So sind in Deutschland die Bildungschancen enorm vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängig. So hat das Ifo-Institut aus München herausgearbeitet, dass die Wahrscheinlichkeit auf eine Gymnasialbildung – je nach dem Einkommen und der Bildung im Elternhaus – zwischen 20 und 80 Prozent liege.

Akademisches Prekariat

Mittlerweile gestaltet sich die Arbeiter*innen-Klasse als sehr heterogen. Menschen, die auf dem Bau, im Reinigungssektor oder in den großen Schlachthäusern arbeiteten, kämen häufig aus Osteuropa. „Die Facharbeiter*innen bei VW oder Daimler gehören finanziell gesehen schon zur Mittelschicht“, erläuterte Hobrack, während akademische „Kreativ-Arbeiter*innen“ wie Autor*innen oder Dramaturg*innen trotz Hochschulabschluss mitunter ökonomisch der Armutsklasse zuzuordnen seien. Julia Friedrichs bezeichnete all die Menschen als Arbeiter*innen bzw. „Working-Class“, die mit Lohnarbeit ihr Geld verdienten. Ihnen gegenüber stünden die, die das Geld für sich arbeiten ließen und von Zinsen und Dividenden lebten.

Rückkehr zur „guten alten Zeit“

Bei den Wahlergebnissen in den USA, in Frankreich, Österreich, den Niederlanden oder auch Deutschland habe man erkennen können, welche politische Folgen extreme soziökonomische Spannungen in einer Gesellschaft haben. So habe der Milliardär Donald Trump mit seiner Kampagne „Make America Great Again“ hauptsächlich Wähler*innen der Working-class angesprochen, da diese sich eine Rückkehr zur früheren Industrialisierung des „Rust Belts“ wünschten. In Deutschland bauschte die AfD hingegen Themen wie Gender, Identität und Migration jenseits von ökonomischer Gerechtigkeit zu entscheidenden Markern auf und stieß dabei auf breite Resonanz.

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