
Die Mythen der Bourgeoisie zu zerstören, um so Imperialismus im Äußeren und autoritäre Gesellschaftsvorstellungen im Inneren zu verhindern war das Ziel von Roland Barthes‘ Buch „Mythen des Alltags“. Die 50. Folge des Theorie-Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung widmete sich dem französischen Philosophen.
„Mythen des Alltags“
Roland Barthes wurde 1915 in Cherbourgh geboren, 1924 zog seine Familie nach Paris. Mitte der 30er Jahre musste der junge Barthes aufgrund einer Lungenerkrankung regelmäßig in Sanatorien behandelt werden und war deshalb vom Militärdienst befreit. War er anfangs Hilfslehrer für Französisch, erhielt er später eine reguläre Stelle im Schuldienst, bis er 1950 als Lektor im ägyptischen Alexandria arbeitete, wo er Kontakt zum Zeichentheoretiker Algirdas Greimas hatte. 1953 veröffentlichte er das Buch „Nullpunkt der Literatur“, 1957 „Mythen des Alltags“, 1962 wurde er Direktor der Pariser Hochschule EPHE.
Sturz der Autoritäten
Darüber hinaus kam es zu Aufenthalten in Japan und den Vereinigten Staaten. Die 68er-Bewegung bezeichnete er als eine „Maoisierung der französischen Universitäten“ und stand dem ebenso skeptisch gegenüber wie der Kommunistischen Partei Frankreichs. Er wollte stattdessen den Sturz der Autoritäten und setzte sich für eine autonome Selbstverwaltung ein. 1977 wurde er als Professor an das College de France berufen. 1980 starb er in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls mit einem Milchlaster.
Die bürgerliche Ideologie
Das Buch „Mythen des Alltags“ wurde in Deutschland über 100.000 mal verkauft. Es besteht aus 53 Essays, die sich etwa mit dem Mythos des Piloten, mit Wein und Milch, aber auch politischen Organisationen und der Tour de France beschäftigen. Barthes sieht den Mythos als die Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse und wendet sich damit auch gegen die Massenkultur. Seiner Meinung nach reiche das Anprangern der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie nicht aus. Vielmehr müsse man verstehen, wie solche Mythen konstruiert würden – um sie dann zerstören zu können.
Ehe als „Lösung“ der Probleme
Anhand der Tour de France analysierte er, wie Radrennfahrer auf bestimmte Charaktermerkmale – etwa körperlich stark, intelligent oder strategisch – festgelegt würden. Ein weiterer Artikel widmete sich Beratungsangeboten in Zeitschriften, die Ehebruch, das Verhältnis von Mann und Frau oder auch Alkoholismus thematisierten. Als stetige „Lösung“ für die fragenden Frauen wurde die Ehe als Schutz vor männlicher Aggression angeboten und somit an grundlegenden Dogmen der Gesellschaft festgehalten.
Thron und Altar
Ein französischer Reiseführer verwendete malerische Beschreibungen für Gebirge, Schluchten oder Engpässe, wohingegen er die Felder der bäuerlichen Bevölkerung außen vor ließ. Der Fokus lag auf den Kunstschätzen der Kirchen und Schlösser und schuf so eine Verbindung zwischen Katholizismus und Tourismus, während das einfache Leben der Menschen unter den Tisch fiel. Auch wurde die Zerstörung der Spanischen Demokratie durch den Bürgerkrieg (1936-39) beschönigt. So stellte die Informationsbroschüre die Anhänger*innen der Republik als kirchenplündernden Mob dar, wobei das putschende Militär unter General Franco als heldenhafte Verteidiger*innen und Befreier*innen Spaniens stilisiert wurde.
Imperialismus und Bourgeoisie
Den Wein nannte Barthes ironisch die „Staatsräson“ des französischen Volkes und arbeitete heraus, wie stark dieser mit dem Kapitalismus verwoben sei. So trug der Weinanbau der französischen Großgrundbesitzer*innen im besetzten Algerien wesentlich zur Stärkung des Wirtschaftssystems bei. Der muslimischen Bevölkerung wurde somit eine Kultur aufgezwungen, mit der sie nichts zu tun hatte. Darüber täuschte auch nicht das Bild eines schwarzen Jungen in Uniform hinweg, der eine französische Fahne grüßte. Denn diese propagandistische Grafik sollte sinnbildlich für die imperiale Größe des Landes und seiner Nation stehen. Für Barthes war klar: Je mehr die bürgerliche Klasse ihre Vorstellungen verbreitete, desto natürlicher würden sie. Dem wollte er mit seinem Buch entgegenwirken.
Weiterführende Links:
- RLS (30.5.2025): Roland Barthes. Mythen des Alltags – https://www.youtube.com/watch?v=nBmE6f3DA0M
- Die Linke SC-RH (8.7.2024): Edward Said. Orientalismus – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/international/edward-said-orientalismus/
- Die Linke SC-RH (17.5.2022): Algerien. Demokratiebewegung Hirak – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/international/algerien-demokratiebewegung-hirak/