Der Gerichtshof der Europäischen Union erklärte kürzlich Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko für ungültig. Hintergrund war die militärische Besatzung und Ausbeutung der Westsahara und des saharauischen Volkes durch die nordafrikanische Monarchie. Die Veranstaltung „Westsahara. Widerstand im Gerichtssaal“ von Medico International ließ mehrere Expert*innen zu Wort kommen.
Demokratische Arabische Republik Sahara
Auf der Berliner Konferenz (1884) wurde die Westsahara dem spanischen Königreich zugesprochen, während Mauretanien, Marokko, Mali und Algerien unter französische Kontrolle fielen. Sowohl die marokkanische Unabhängigkeit 1956 wie auch der Algerische Unabhängigkeitskrieg 1954 bis 1962 strahlten auf die Westsahara aus, so dass 1973 die Befreiungsbewegung Frente Polisario (FP) entstand. Ihr Ziel war die Unabhängigkeit ihres Landes von der spanischen Kolonialmacht. Nach dem Tod des Diktators Francisco Franco zogen sich die spanischen Truppen zurück – stattdessen marschierten Soldaten aus Marokko und Mauretanien in das Gebiet ein. 1976 rief die FP in den von Marokko befreiten Gebieten die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. 1991 wurde ein Waffenstillstand vereinbart.
Mauer in der Wüste
„Der Einsatz für die Unabhängigkeit wird mit Verhaftung und Folter beantwortet“, beschrieb Nadjat Hamdi die Situation im von Marokko besetzten Teil. Dieser sei mit einer 2.700 Kilometer langen Mauer von den befreiten Gebieten abgegrenzt, so dass das Land in einen marokkanischen West- und einen saharauischen Ostteil getrennt ist. „Das marokkanische Regime greift die kulturelle Identität des saharauischen Volkes an“, erläuterte die Vertreterin der FP in Deutschland den angestrebten Assimilierungsprozess. Denn aus Sicht des Königs sei die Westsahara integraler Bestandteil Marokkos. Während ein Teil der Sahrauis in den befreiten Gebieten lebt, befindet sich jedoch die Mehrheit des Volkes in algerischen Flüchtlingslagern.
Das Geschäft mit Fisch
„An der Küste befinden sich einige der besten Fischbestände des gesamten afrikanischen Kontinents“, erklärte Erik Hagen. Dort würden vor allem Sardinen gefangen, die man dann in andere afrikanische Staaten oder auch nach Osteuropa exportiere. „Viele Hamburger Reedereien verdienen mit dem Fischfang Geld“, führte er aus. Die tiefgefrorenen Tiere werden dann – etwa in Bremer Fabriken – zu Fischmehl verarbeitet. „Der größte Importeur von Fischmehl ist die Türkei“, beleuchtete das Mitglied der NGO Western Sahara Resource Watch die internationalen Zusammenhänge.
Phosphat und Solarenergie
Doch auch Phosphat, unverzichtbar zur Düngemittelherstellung, sei ein begehrtes Exportprodukt. So würden die größten Mengen etwa nach Mexiko, Indien und Neuseeland verschifft. „In zwei Jahren soll eine komplette Phosphat-Fabrik in der Westsahara in Betrieb gehen“, gab Hagen einen Ausblick auf die marokkanische Industriepolitik. Mit der Ausbeutung der dortigen Rohstoffe locke das Königreich ausländische Regierungen in das Territorium und normalisiere so seine Besatzung. Die Installation von Solaranlagen in der Westsahara unter Beteiligung von Siemens Energy oder dem TÜV Rheinland sei nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere europäische Staaten ein gewinnbringendes Geschäft.
Antikolonialismus siegt vor Gericht
In den Jahren 2016 und 2018 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass die EU keine internationalen Abkommen abschließen dürfe, die für die Westsahara gelten, ohne die Zustimmung des saharauischen Volkes einzuholen. Nach einer Klage der FP erklärte der EuGH am 4. Oktober 2024 die 2019 zwischen der EU und Marokko geschlossenen Handelsabkommen über Fischerei und Landwirtschaft für nichtig. „Die Ressourcen des Landes dürfen nur mit Zustimmung des saharauischen Volkes ausgebeutet werden“, erklärte Manuel Devers die herrschende Rechtslage. Denn der Westsahara stünde ein eigenständiger Status zu, so dass Marokko auf dessen Gebiet keinerlei Befugnisse hätte. Eingereicht hatte die Klage beim EuGH die FP. „Das ist das erste Mal, dass eine Befreiungsorganisation gegen Kolonialismus ihre Rechte vor Gericht erkämpft“, erläuterte der Rechtsanwalt der FP vor dem EuGH.
EU unterstützt Besatzung
Denn das Haupthindernis für die Selbstbestimmung der Sahrauis sei die wirtschaftliche Beteiligung der EU. „150 Betriebe in den besetzten Gebieten erwirtschaften durch den Export 420 Millionen Euro im Jahr“, nannte der Jurist eine Größenordnung. Das sei deutlich mehr, als das, was die israelische Regierung in den besetzten Gebieten Palästinas einnehme. „Marokko schafft dadurch Arbeitsplätze für die eigene Bevölkerung in der Westsahara und verändert so die demografischen Verhältnisse“, erklärte er. Denn rechtlich gesehen stehe den Sahrauis als eigene Nation ein Territorium sowie eben auch die Verfügung über die dortigen Rohstoffe zu, sagte Devers.
Weiterführende Links:
- Medico International (13.11.2024): Westsahara. Widerstand im Gerichtssaal – https://www.youtube.com/watch?v=2qJv5QHnymY
- Die Linke (20.10.2024): Westsahara – https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/hallescher-parteitag-2024/hallescher-parteitag/beschluesse-und-resolutionen/detail/westsahara/
- C.H. Beck (4.10.2024): Handelsabkommen EU-Marokko nichtig – https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/eugh-C77821p-C79821p-handelsabkommen-eu-marokko-nichtig-westsahara