dis:arm: Den Frieden gewinnen

29. September 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Am Beispiel Afghanistans, Indonesiens und Kolumbiens zeigten Jan van Aken und Linda Peikert verschiedene Möglichkeiten von Versöhnungsarbeit nach einem blutigen Krieg auf. Die 18. Folge des friedenspolitischen Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beschäftigte sich mit der Frage „Wie kann Frieden nach dem Krieg gesichert werden?“.

Indonesien: Feuer und Flucht

Im Dezember 1998 eskalierte ein Streit zweier Jugendgangs auf der indonesischen Insel Sulawesi zu einem Bürgerkrieg, der die Bevölkerung entlang religiöser Lager spaltete. „Christliche und muslimische Gruppen bekämpften sich mit äußerster Brutalität“, schilderte Linda Peikert die Folgen. Hatte vor dem Krieg die Religionszugehörigkeit keine Rolle gespielt – so war ein Imam etwa sogar mit einer Christin verheiratet gewesen – rangen die Kriegsparteien nur noch um Macht und Einfluss. Viele Dörfer wurden niedergebrannt, über 30 Prozent der Bevölkerung befand sich auf der Flucht.

Opfer und Täter

2001 kam es unter der Vermittlung der Zentralregierung und zahlreicher muslimischer und christlicher Gruppierungen zu einem Friedensschluss. Zu dieser Zeit forschte Lian Gogali zu den Kriegsfolgen und befragte Arbeiterinnen und Hausfrauen zu ihren Erlebnissen. „Die Frauen mussten vor dem Kriegsgeschehen in den Dschungel fliehen, um zu überleben“, erklärte sie. Da sie nach dem Krieg über keinerlei Unterstützungsnetzwerk verfügten, organisierte Gogali sogenannte „Friedensschulen“, in denen sich Frauen der verfeindeten Gruppen trafen. Lautete der erste Vorwurf meinst: „Du hast meinen Ehemann getötet!“, erkannten sie mit der Zeit, dass sie alle Opfer bzw. ihre eigenen Männer auch Täter gewesen waren.

Gemeinsamer Schmerz verbindet

„In dieser Arbeit wird die Verschiedenheit von Erinnerung begreiflich“, erläuterte Jan van Aken. Sprachen die Frauen zuerst über ihre eigene schmerzhafte Vergangenheit, konnte durch das gemeinsam Erlebte Solidarität und eine gemeinschaftliche Zukunft entstehen. „15 Jahre nach dem Kriegsende leben die Religionsgemeinschaften wieder in den gleichen Dörfern zusammen“, sprach er die Erfolge der „Friedensschulen“ an.

Propaganda und E-Autos

Doch nutzten auch heute noch Politiker*innen die Wunden für ihre Ziele. So befindet sich ein großer Gewerbepark zur Verarbeitung von Nickel auf der Insel. Das Metall wird nach Brandenburg ans Tesla-Werk in Grünheide verschifft, da die Bundesrepublik zur Sicherung der Rohstoffe ein Abkommen mit Indonesien geschlossen hat. Zur Energieversorgung des Gewerbeparks ist ein Staudamm geplant, dessen Betreiberfirma dem früheren Vizepräsidenten Indonesiens gehört. Protestieren Anwohner gegen den Verlust ihres Landes, diffamiere er sie als Unruhe stiftende Christ*innen.

Transitional Justice

Die von Gogali praktizierte Versöhnungsarbeit, auch Transitional Justice genannt, hat ihre Wurzeln in der Aufarbeitung mittel- und südamerikanischer Diktaturen in den 1990er Jahren. Damals stand die strafrechtliche Verfolgung der Täter*innen, angelehnt an die Nürnberger Prozesse gegen die NS-Führung 1946, im Fokus. „Juristische Prozesse greifen bei Versöhnungsarbeit viel zu kurz“, gab van Aken zu bedenken. Einen weiteren Schritt ging Südafrikas Präsident Nelson Mandela, als er nach dem Ende der Apartheid 1996 Wahrheits- und Versöhnungskommissionen einsetzte, um statt neuer Massaker einen Dialog in der Gesellschaft anzustoßen.

Kolumbien: Soziale Ungleichheit

Dafür hat die UN vier Punkte herausgearbeitet. Neben Wahrheitsfindung braucht es Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und die Verhinderung eines erneuten Rückfalls in die Gewalt. So müssten etwa die tieferen Ursachen der Konflikte, also oftmals die herrschende soziale Ungerechtigkeit, gelöst werden. Als beispielhaft sah der RLS-Referent für internationale Krisen und Konflikte den kolumbianischen Friedensprozess zwischen der Regierung und paramilitärischer Milizen sowie den FARC-Rebell*innen. Ein Auslöser für den von den 60er Jahren bis 2016 tobenden Bürgerkrieg waren die fehlenden Landrechte armer Bäuer*innen, die stets von der Vertreibung durch Großgrundbesitzer*innen bedroht waren.

Friedensvertrag abgelehnt

„Der Friedensprozess sah eine Landreform vor, bei der 3 Millionen Hektar an Kleinbäuer*innen verteilt wurde“, benannte van Aken einen Lösungsansatz. Doch wurde das Land den Großagrarier*innen nicht weggenommen, sondern vom Staat aufgekauft, so dass eine geschäftliche Einigung erzielt wurde. Der am 26. September 2016 unterzeichnete Friedensvertrag wurde der kolumbianischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt – und aufgrund massiver Desinformation aus dem rechten politischen Lager um den ehemaligen Präsidenten Uribe Vélez (2002-2010) abgelehnt.

Afghanistan: 45 Jahre Krieg

Eine weitere Möglichkeit der Versöhnungsarbeit sahen Peikert und van Aken in Afghanistan. Der dort 1979 nach dem Einmarsch sowjetischer Streitkräfte einsetzende Krieg artete nach dem Rückzug der Truppen in einen Bürgerkrieg unterschiedlicher Warlords aus, aus dem schließlich 1996 die Taliban als Sieger hervorgingen. 2001 rückten NATO-Truppen ein, seit 2021 haben erneut die Taliban die Macht im Land übernommen.

Theaterspiel vereint

„In fast jeder Familie ist ein Angehöriger durch Waffengewalt getötet worden“, fasste Eva Bitterlich von Medico International die Konsequenzen der vergangenen 45 Jahre zusammen. So hätten die Menschen ein tiefes Misstrauen gegenüber gegnerischen Gruppierungen entwickelt. Doch in der direkten Begegnung – und zwar in Form des Theaterspielens – würden sie ihre Gemeinsamkeit erkennen: dass sie alle Opfer des Krieges sind. Im Rahmen des AHRDO-Projekts brächten sie gemeinsam ihre leidvolle Gewalterfahrung auf die Bühne, um ihre Geschichte zu erzählen und sich gegenseitig zuzuhören. Mit der Machtübernahme der Taliban 2021 stand das Projekt vor dem Aus. Viele Akteur*innen flohen ins Ausland.

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