Indien: Hindu-Nationalismus gegen Muslime

14. Juli 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Premierminister Modi in Bhubaneswar, 7.2.2016 (Prime Minister’s Office, Government of India, GODL-India)

Der Abbau staatsbürgerlicher Rechte und Gewalt gegen die muslimische Bevölkerung in Indien waren Thema der Veranstaltung „,Hindus First‘: Woher der Hass gegen Muslime in Indien?“. Diese wurde vom Schweizer Radio und Fernsehen organisiert.

Gelebte Pluralität

Indien gilt mit seinen 1,4 Milliarden Einwohner*innen als die größte Demokratie der Welt. Dabei stellen die 14 Prozent Muslime die zweitgrößte muslimische Bevölkerung der Welt dar. 80 Prozent der Inder*innen sind Hindus, während sechs Prozent anderen Religionen angehören. Das Land hat mit seinen 700 Völkern und über 100 unterschiedlichen Sprachen eine große Pluralität. Doch diese scheint durch den erstarkenden Hindu-Nationalismus unter Premierminister Narendra Modi gefährdet.

Gewalt gegen Muslime

„Es wird befürchtet, dass Indien zu einer ethnischen Demokratie wird, in der Rechte nur für einen Teil der Bevölkerung gelten“, gab Oliver Schulz seiner Sorge Ausdruck. So erschwere das 2019 verabschiedete Staatsbürgergesetz für Muslime und andere „nicht-indische“ Religionsangehörigen die Zugehörigkeit zu Indien, erläuterte der Journalist. Auch seien die Strafen für den Verzehr von Rindfleisch verschärft worden. Da Kühe in Indien als „heilige Tiere“ gelten, werden sie von Hindus nicht gegessen – im Gegensatz zu Muslimen und Christ*innen. Sogenannte „Kuhschützer*innen“ attackierten Menschen, die Kühe transportieren, aber auch Personen, die das Fleisch essen. „Bei muslimischen Familien wird eingebrochen und Angehörige totgeschlagen“, schilderte er die Konsequenzen.

Angst vor neuen Massakern

Die Aufteilung Britisch-Indiens nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 hatte massive Vertreibungen, begleitet von zahlreichen Massakern zur Folge. Pakistan wurde ein religiöser Staat für Muslime, während Indien eine säkulare Verfassung und eine mehrheitlich hinduistische Bevölkerung hatte. So wurde Mahatma Gandhi auch von einem fanatischen Hindu ermordet, da er sich für ein friedliches Miteinander aller Religionen einsetze. Der Wahlkampf der Indischen Volkspartei (BJP), der Modi angehört, setzt seit Jahrzehnten auf Hindu-Nationalismus. „Unter der muslimischen Bevölkerung herrscht Angst, dass sich die Massaker von 1947 wiederholen könnten“, erklärte Schulz. So sei es 2002 nach einem Zugbrand in Godhra zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Dabei wurden 790 Muslime und 254 Hindus getötet, 230 Moscheen und 274 Gebäude von Sufi-Orden zerstört.

Gegen die etablierte Partei

Modis Vater gehörte als Teeverkäufer zur mittleren Unterschicht. Der Sohn schloss sich als Achtjähriger der Kaderorganisation RSS (Nationale Freiwilligenorganisation) an. Da der Mörder Gandhis ein RSS-Mitglied war, wurde die Organisation zeitweise verboten. „Modi ist religiös, trinkt keinen Alkohol und lebt als Vegetarier“, beschrieb Schulz den Politiker. Er prangerte die Kongresspartei (INC), die Partei des ersten Premierministers Jawaharlal Nehru sowie der Gandhi-Dynastie, als korruptes Establishment an. „So hat Modi die Religiösen und die materiell orientierte Mittelschicht hinter sich vereint“, erläuterte er die dadurch entstandene Machtbasis.

Alleinanspruch statt Toleranz

Die Ideolog*innen der Hindutva-Bewegung (Hindu-Sein) propagieren, dass nur die*der Hindu sein könne, dessen Mutterland Indien sei und deren*dessen heilige Stätten dort lägen, erklärte die Indologin Angelika Malinar. Somit könnten Muslime und Christ*innen, deren Glaubensmittelpunkt in Mekka bzw. Jerusalem sei, nicht zur Gemeinschaft dazugehören. Hatten die unterschiedlichen Religionsgruppen – in dem Land sind sieben Gruppierungen anerkannt – in den 80ern noch bestimmte Feste gemeinsam gefeiert, habe sich das mittlerweile geändert. „In vielen hinduistischen Tempelanlagen sind die dort aufgestellten Lautsprecher als Konkurrenz zu christlichem Glockengeläut zu sehen“, beschrieb sie die akustische Raumergreifung.

Tempel statt Moschee

In diesen Kontext fiele auch die Einweihung des Tempels von Ayodhya durch Modi im Januar 2024. Die in der Mogulzeit 1527 erbaute Moschee war 1992 von Hindu-Extremist*innen zerstört worden, die anschließenden Unruhen forderten 2000 Tote. Modi weihte den Tempel dem Gott Rama, der dort um 1250 v. Chr. geboren sein soll. Orthodoxe Hindus sehen sich in der säkularen Verfassung als Verlierer*innen, da den religiösen Minderheiten Traditionen und spezifische Rechte zugestanden werden. So gelte für Muslime im Zivilrecht etwa die Scharia und für Christ*innen das Kirchenrecht. Die Hindus hingegen folgen einem auf das britische Kolonialrecht zurückgehenden säkularen Familienrecht.

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