
Der Jurist Matthias Goldmann kritisiert das Vorgehen der israelischen Regierung und des Militärs in den palästinensischen Gebieten. Im Interview der Woche des Deutschlandfunks stellte er klar: „Beim Völkerrecht muss Deutschland glaubwürdig bleiben.“
Haftbefehl gegen Netanjahu
„Das Völkerrecht ist zu respektieren“, hält Matthias Goldmann fest. Als die USA 2003 unter George W. Bush völkerrechtswidrig in den Irak einmarschierten, stand die Bundesregierung auf der Seite des Rechts. Beim Gazakrieg, der seit dem 7. Oktober 2023 tobt, habe sie sich bis vor kurzem noch auf Kollisionskurs dazu befunden und beginne erst jetzt, langsam völkerrechtsfreundlich zu werden. „Andererseits könnten auch Zweifel geltend gemacht werden, ob die Bundesrepublik den internationalen Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vollstreckt“, überlegte der Professor für Internationales Recht.
Palästinensisches Selbstbestimmungsrecht
Unter Bezug auf das Völkerrecht könne die „deutsche Staatsraison“ als Anerkennung des Existenzrechts Israels verstanden werden, führte er aus. Denn jedes Volk verfüge über ein Selbstbestimmungsrecht, so dass dessen Staatsangehörige sich entscheiden könnten, in welchem Staat sie leben wollten. „Dabei sind jedoch die Menschenrechte und das Gewaltverbot zu achten – ebenso wie das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes“, wandte Goldmann ein. Deshalb verstehe er die „Staatsräson“ eher als außenpolitischen Abwägungsprozess verschiedener Rechtsgrundsätze.
Selbstverteidigung im Völkerrecht
Auch Israel müsste sich an das Völkerrecht halten, forderte der Jurist. Denn eine Abkehr davon habe Auswirkungen auf die Politik Putins, des Irans und die Volksrepublik China. So sei auch Selbstverteidigung nur in den Grenzen des Völkerrechts zu führen. „Das Aushungern der Zivilbevölkerung in Gaza und die nahezu komplette Zerstörung des Gebiets lassen sich nicht mit der Verteidigung gegen die Terrororganisation Hamas begründen“, erklärte er.
Weltkrieg und Massaker
Auch eine Gleichsetzung von Hamas und dem Kampf der Alliierten gegen Nazi-Deutschland sei nicht tragfähig. „Die Nationalsozialist*innen haben die halbe Welt mit Krieg überzogen und Millionen von Menschen ausgerottet“, brachte er die Taten im Dritten Reich in Erinnerung. Das seien gänzlich andere Dimensionen als das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel. Darüber hinaus sei auch die vollkommene Vernichtung des Gazastreifens nicht notwendig, um die Hamas zu bekämpfen.
Waffen für Kriegsverbrechen
Mit Blick auf die deutschen Waffenlieferungen sei am 7. Oktober noch nicht absehbar gewesen, dass mit diesen Exporten israelische Kriegsverbrechen verübt werden würden. Doch kam es seitens der israelischen Streitkräfte (IDF) zu Angriffen auf medizinisches Personal, Schulen und Universitäten, wobei niemals bewiesen wurde, dass sich dort Stützpunkte der Hamas befunden hätten. Gleiches gelte für tödliche Angriffe auf Journalist*innen. Die Herkunftsstaaten müssten Sorge dafür tragen, dass ihre Waffen nicht für solche Zwecke eingesetzt würden, forderte er. „Eigentlich müsste man sagen, dass deutsche Waffen nicht mehr im Gaza-Konflikt eingesetzt werden“, bilanzierte Goldmann.
Annexion und Rassentrennung
Legitime Konflikte gäbe es seitens der israelischen Regierung gegen den Iran und die Huthis im Jemen. „Kann nicht sichergestellt werden, dass die Waffen nur dort eingesetzt werden, sollte man gänzlich davon absehen, Waffen an Israel zu liefern“, forderte er. Denn seit Juli 2024 werde die Besetzung des Gazastreifens sowie des Westjordanlands als illegal eingestuft. Denn durch die Annexionsversuche und die Einführung einer Rassentrennung im Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde durch Israel werde das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen eingeschränkt. Auch in Syrien werde ein illegaler Krieg geführt.
Wirtschaftssanktionen gegen Israel?
Zwar dürfe man sich laut der UN-Generalversammlung gegen eine koloniale Besatzung zur Wehr setzen – allerdings legitimiere dieses Widerstandsrecht nicht den militärischen Einmarsch und die Ermordung zahlreicher Zivilist*innen in Israel am 7. Oktober. Wirtschaftssanktionen gegenüber der israelischen Regierung sah Goldmann aufbauend auf der Einhaltung der Menschenrechte – etwa beim Assoziierungsabkommen mit der EU. „In Gaza gibt es massive Probleme mit der Anwendung des humanitären Völkerrechts“, hielt er fest. Um den deutschen Diskurs zu erweitern, könne man sich mit der Haltung Irlands auseinandersetzen – einem europäischen Land, das jahrhundertelang von englischem Kolonialismus betroffen war und in dem eine eine große Solidarität mit den Palästinenser*innen gebe.
Weiterführende Links:
- Deutschlandfunk (1.6.2025): Jurist Goldmann. Beim Völkerrecht muss Deutschland glaubwürdig bleiben – https://www.deutschlandfunk.de/interview-prof-goldmann-matthias-voelkerrechtler-ebs-universitaet-wiesbaden-100.html
- Die Linke SC-RH (14.5.2025): Israel. Frieden durch Militär? – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/international/israel-frieden-durch-militaer/
- Die Linke SC-RH (22.11.2024): Die Situation in Gaza und dem Westjordanland – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/international/die-situation-in-gaza-und-dem-westjordanland/