
Über die straflos gebliebenen Kriegsverbrechen im Bürgerkrieg von Sri Lanka berichtet Medico International im Podcast „Global Trouble“. Die Folge „No Fire Zone“ beschäftigte sich mit der gezielten Bombardierung von humanitären Korridoren durch Regierungstruppen.
Massaker an Zivilbevölkerung
Der blutige Bürgerkrieg in Sri Lanka von 1983 bis 2009 zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit kostete bis zu 100.000 Menschen das Leben. Vor allem die tamilische Bevölkerung hatte darunter zu leiden. In der letzten Phase des Krieges wurden hunderttausende Tamil*innen vertrieben und auf einem Sandstreifen im Nordosten der Insel von der Armee eingekesselt. Es folgte ein Massaker. Die Täter*innen der Kriegsverbrechen kamen straflos davon, da bis heute keine Aufarbeitung erfolgte.
Stacheldraht und Schläge
„Ich war 15 Jahre alt und befand mich mit meiner Familie damals in der ,No Fire Zone‘“, erinnerte sich Kumanan Kanapathippillai an die Geschehnisse im Mai 2009. Doch dann wurde die gesamte Bevölkerung, die aus dem nördlichen Kriegsgebiet geflohen war, von der Armee auf ein etwa ein Quadratkilometer großes Gebiet zusammengedrängt. „Seitens der Regierungstruppen kam es dann zu einem heftigen Beschuss, bei dem viele Menschen starben“, schilderte er die Ereignisse in dem humanitären Schutzkorridor. Als sie weiter flohen, wurden sie von Soldat*innen mit Knüppeln empfangen, die sie schlugen und beschimpften. Dann brachte man sie auf ein mit Stacheldraht umzäuntes Reisfeld ohne Wasser oder Toiletten. „75 Prozent der Menschen im Lager waren verletzt“, beschrieb er die Situation vor Ort.
Koloniale Spaltung
Allerdings war das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen nicht von jeher durch Gewalt geprägt. So existierten jahrhundertelang singhalesische und tamilische Königreiche nebeneinander, bis erst portugiesische, dann niederländische und schließlich britische Kolonialherren kamen. Letztere benannten die Insel südlich von Indien in Ceylon um, schufen einen Zentralstaat und setzten die tamilische Minderheit, die etwa 30 Prozent der Bevölkerung ausmachte, in Verwaltungsposten des Kolonialregimes. Die so erhaltene politische und ökonomische Macht ließ sie in Augen der singhalesischen Mehrheit zu Kollaborateur*innen der Europäer*innen werden.
Benachteiligung der Minderheit
„Mit der Unabhängigkeit 1948 gingen Land und Besitz in die Hände singhalesischer Familiendynastien über“, schilderte Karin Zennig den politischen Umbruch. Die singhalesische Mehrheit besetzte nach den ersten demokratischen Wahlen den Regierungs- und Verwaltungsapparat. Dort drängten sie auf die Benachteiligung der tamilischen Minderheit. „Sri Lanka ist ein Land mit vielen Ethnien, Kulturen und Religionen“, betonte die medico-Referentin die Pluralität. Während die Tamil*innen meist hinduistisch geprägt waren, gehörten die Singhales*innen eher dem buddhistischen Glauben an.
Pogrome und Kriegsausbruch
Der 1965 beschlossene Sinhala-only-Act machte jedoch Singhalesisch zur einzig verbliebenen Amtssprache und manifestierte den Nationalchauvinismus der Mehrheitsbevölkerung. So kam es trotz tamilischer Proteste immer wieder zu Ausschreitungen und Vertreibungen durch die Mehrheitsgesellschaft. 1971 wurde ein Aufstand der singhalesischen Jugend durch Regierungsgruppen brutal niedergeschlagen. Nachdem 1983 bei einem Anschlag auf einen Militärposten 13 Soldat*innen starben, wurden bei den folgenden Pogromen tausende Tamil*innen ermordet. „Die Liberation Tigers of Tamil Eelam sehen sich als eine Befreiungsorganisation, die zum Schutz der Menschen ein eigenes Staatsgebiet errichten wollen“, beschrieb Zennig die Folgen. Die LTTE war antikapitalistisch orientiert und etablierte in den befreiten Zonen ein eigenes Bankwesen und Justiz, Verwaltung und Post für die tamilische Bevölkerung.
Friedensgespräche und „Terrororganisation“
Es folgten Jahrzehnte des Bürgerkriegs, die Kriegsverbrechen beider Seiten mit einschlossen. 2002 kam es unter Beteiligung der Europäischen Union zu Friedensgesprächen, die auch zu einem ansteigenden Tourismus und somit höheren Einnahmen für die Tropeninsel führten. Nach dem verheerenden Tsunami von 2004 sahen die eintreffenden Hilfsorganisationen im Gebiet der LTTE diese als regulären Ansprechpartner bei der Katastrophenhilfe an. „Auf Drängen der USA erklärte die EU die LTTE zur internationalen Terrororganisation“, skizzierte Zennig den Weg in die Eskalation. Das Militär startete einen Vernichtungsfeldzug gegen die Tamil*innen, bei dem Hunderttausende vertrieben wurden.
Streumunition und Phospor-Bomben
„2008 zog die UN ihre Beobachter*innen aus der Region ab“, sagte sie. Das Resultat: Die Armee attackierte die Menschen, die in die ausgewiesenen Schutzkorridore geflohen waren, griff Krankenhäuser, Schulen und Ausgabestellen für Nahrungsmittel an. „Alle Personen, die sich in dem Kriegsgebiet aufhielten, wurden zu Unterstützer*innen der LTTE erklärt“, führte Zennig aus. So setzte das Militär neben Streuminiton auch Phosphor-Bomben ein. Die Überlebenden wurden in 16 Lagern interniert, von denen einige bis 2017 existierten. Dort kam es zu Vergewaltigungen, Folter und dem „Verschwinden“ zahlreicher Häftlinge. „Obwohl das jetzt 15 Jahre her ist, wissen wir nicht, ob die Täter*innen bestraft werden“, kritisierte Kanapathippillai, der die Lager überlebt hatte. Er wünscht sich eine politisch-föderale Lösung, bei der ein eigener Bundesstaat für sein Volk geschaffen werde.
Weiterführende Links:
- Medico International (24.5.2024): No Fire Zone – https://www.medico.de/no-fire-zone-19522
- Die Linke SC-RH (8.11.2024): Staat, Militär und Drogen – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/international/staat-militaer-und-drogen/
- Die Linke SC-RH (7.12.2024): Klimakonferenzen ohne Wirkung – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/global/klimakonferenzen-ohne-wirkung/