Staat, Militär und Drogen

08. November 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Am 26. September 2014 wurden sechs Studenten einer Hochschule zur Ausbildung von Grundschullehrern in Iguala von mexikanischen Polizisten mit deutschen G36-Sturmgewehren (Heckler & Koch) erschossen. Weitere 43 wurden von den Beamten an das kriminelle Drogen-Syndikat Guerreros Unidos übergeben und mutmaßlich ermordet. Kundgebung zehn Monate später (Wikimedia: PetrohsW, CC BY-SA 4.0).

Das Verschwindenlassen von Personen durch staatliche Akteure und Maßnahmen der UN gegen solche Verbrechen waren Thema des Vortrags „Wo sind sie hin? Verschwundene Menschen“. Dieser wurde von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit organisiert.

Abschiebung von Regimegegner*innen

„Eine Kritikerin des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurde verurteilt und floh vor der drohenden Haft über die Grenze nach Griechenland“, berichtete Barbara Lochbihler. In einer dortigen Polizeistation wurde sie festgehalten, ihrem Anwalt jedoch erklärt, sie sei nicht dort, so dass sie zwei Tage später in die Türkei abgeschoben wurde. „Das ist ein Fall von ,erzwungenem Verschwindenlassen‘“, beschrieb die Vizepräsidentin im UN-Ausschuss gegen Verschwindenlassen den Vorgang.

Argentinien und Irak

Und das, obwohl sich auf der Weltkonferenz von 1993 eigentlich alle Staaten zur universellen Gültigkeit von Menschenrechten bekannt hatten. „In den südamerikanischen Militärdiktaturen wie Argentinien bestand die gezielte Politik darin, Oppositionelle verschwinden zu lassen“, blickte die ehemalige Europaabgeordnete (B90/Grüne) zurück. Mit 250.000 bis 1 Million Verschwundener in seiner Geschichte wiese der Irak die größte Zahl solcher Opfer auf. „Vor allem bei der Besetzung Mossuls und dem Kampf gegen den ,Islamischen Staat‘ ist es zu zahlreichen Fällen gekommen“, nannte sie Beispiele.

Demonstrierende „verschwinden“

Allerdings habe sich eine vom Iran unterstützte Miliz, die von der irakischen Regierung mittlerweile in die Struktur der Streitkräfte übernommen wurde, sowohl am Kampf gegen den IS als auch an solchen Verbrechen beteiligt. „Die Regierung hat kein Interesse, diese Taten aufzuarbeiten“, lautete Lochbihlers bitteres Fazit. Als es 2019 aufgrund der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit der Jugend zu Demonstrationen kam, verschwanden ebenfalls zahlreiche Menschen. „Hier konnten viele Betroffene ausfindig und ihre Freilassung erwirkt werden“, beschrieb sie ein positives Resultat.

Mexiko und Kolumbien

An erzwungenem Verschwindenlassen ist stets eine staatliche Einrichtung, etwa in Form von Regierungsbeamten oder dem Militär, beteiligt. Häufig komme es auch zu Schnittmengen mit der organisierten Kriminalität, beispielsweise den mexikanischen Drogenkartellen. „Sowohl die kolumbianische Regierung als auch die FARC-Rebell*innen haben zahlreiche Gegner*innen verschwinden lassen“, zog sie eine Bilanz des gut 30 Jahre andauernden Bürgerkriegs. Doch trotz einer Befriedung des Konflikts sei die Mordrate unter politischen Aktivist*innen immer noch sehr hoch.

Schutz auch an EU-Außengrenzen?

Nach der Ratifizierung der UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen müssen Staaten regelmäßige Berichte erstellen, anhand derer weitere Verbesserungsmöglichkeiten erarbeitet werden. Auch können sich Verbände bei einem konkreten Fall direkt an die UN wenden, die dies innerhalb von 48 Stunden prüfen muss und den entsprechenden Staat zum Handeln auffordert. „Im Jahr 2020 hatten wir 2.000 solcher Fälle“, verdeutlichte die Menschenrechtsaktivistin die Größenordnung. Sie setze sich dafür ein, mit der Konvention auch den Schutz von Migrant*innen und Flüchtlingen, vor allem an der EU-Außengrenze, zu stärken. Seit 2024 hat die Bundesregierung den Paragraph 234b StGB (Verschwindenlassen von Personen), der eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr vorsieht, als Straftatbestand in die Rechtsprechung aufgenommen.

Hunger und Armut

Die Mehrheit der verschwundenen Opfer ist männlich, bei der Recherche zum Verbleib der Betroffenen seien vor allem Frauen beteiligt. Bekannt seien vor allem die argentinischen Frauen des Plaza Mayo, die schon während der damals herrschenden Militärjunta Aufklärung über ihre Angehörigen forderten. „Wenn der männliche Haupternährer der Familie fehlt, sind besonders Frauen und Kinder von Armut und Hunger betroffen“, machte Lochbihler auf die Konsequenzen aufmerksam.

Menschenrechte schaffen Frieden

„Innerhalb der Vereinten Nationen haben Wirtschaftsorganisationen und der Sicherheitsrat mehr Gewicht als Menschenrechtsverbände“, kritisierte sie. Dabei habe der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan mit der Sicherheits- und Entwicklungsarbeit auch das Engagement als gleichberechtigte Säulen des UN-Wirkens betont. „Die Menschenrechtsverletzungen von heute sind die Kriege von morgen“, zitierte Lochbihler den ghanaischen Politiker. Denn die Gewährleistung von bürgerlichen Rechten durch eine Regierung sei die Grundlage umfassenden Friedens.

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