Sudan: Zwischen Revolution und Militär

24. September 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Bewohner Khartums am 21. August 2019 (Manula amin, CC BY-SA 4.0)

Die Revolution, die zum Sturz des Langzeitdiktators Omar al-Bashir führte sowie die Niederschlagung zivilgesellschaftlicher und emanzipatorischer Kräfte durch das Militär waren Thema der Veranstaltung „Revolution und Selbstorganisierung in Kriegszeiten“. Diese wurde von Medico international organisiert.

Massenproteste und Bürgerkrieg

2018 demonstrierten tausende Menschen gegen die Herrschaft Omar al-Bashirs, den seit 30 Jahren herrschenden Diktator des Sudans. Im April 2019 hatte die Massenbewegung Erfolg und al-Bashir trat zurück. Getragen wurden die Proteste größtenteils von Frauen, die eine neue Zukunft für ihr Land entwarfen. Doch nun übernahm das Militär die Macht und Demonstrationscamps der Zivilgesellschaft wurden gewaltsam aufgelöst. Erst im August bildete sich eine militärisch-zivile Übergangsregierung. Ein zweiter Militärputsch und Verhaftungen ziviler Politiker*innen, etwa des Premierministers, beendeten diese Phase. Der Armeechef Abdel Fattah Burhan arbeitete eng mit dem Anführer der Schnellen Eingreiftruppe (RSF), Mohammed „Hamati“ Hamdan Dagalo zusammen. Seit April 2023 führen beide Militärs einen blutigen Bürgerkrieg gegeneinander.

Eine dezentrale Unterdrückung

Muzna Alhaj erläuterte, dass mit dem Herrschaftsantritt al-Bashirs 1989 der Zerfall des Staates begann. Die Aushöhlung der Institutionen führte zu einer flächendeckenden dezentralen Unterdrückung. „Weil es so viele Akteure aufseiten der Regierung gab, konnte der Protest der Straße wortwörtlich ,ins Leere laufen‘“, erklärte die Aktivistin. Als die Kommunistische Partei im Januar 2018 zu einer Demonstration aufrief, folgten gerade einmal tausend Menschen ihrem Aufruf.

Dezentraler Widerstand

Die Situation änderte sich, als wenige Tage später Schüler*innen einer südlichen Kleinstadt Widerstand organisierten – zum ersten Mal fand dies nicht in der Hauptstadt Karthum, sondern an der Peripherie statt. Doch auch in der Metropole änderten sich die Taktiken. So gründeten sich in den einzelnen Stadtteilen Organisationskomitees, die Lebensmittel bereitstellten und Protesttaktiken ausarbeiteten. Andere sorgten für medizinische Versorgung.

Für Transparenz und Mitsprache

Als in der Übergangsregierung politische Vertreter*innen und alte Eliten Politik hinter verschlossenen Türen machten, forderten die Menschen auf der Straße Transparenz und Mitsprache. „Die Widerstandskomitees positionierten sich gegen eine Zusammenarbeit von politischer Elite, Militär und RSF“, sagte Alhaj. Dabei verwendeten sie die Bezeichnung der „blutigen Partnerschaft“. Doch auch nach dem Putsch von 2021 blieben sie kritisch. „Mit Slogans wie ,Keine Partnerschaft, keine Verhandlungen, keine Legitimität‘ stellten sich die Komitees gegen die Macht von Militär und RSF“, erklärte sie. Im ausbrechenden Bürgerkrieg informierten die Gruppierungen über Fluchtrouten, gründeten Evakuierungsteams und verteilten in Nachbarschaftsküchen Lebensmittel.

Frauen gegen den Diktator

„Bei den Protesten von 2015 wurden 200 Menschen getötet – trotzdem gingen 2018 die Leute erneut auf die Straße“, beschrieb Samah Khalafallah die damalige Situation. Selbst 1991 geboren, habe sie ihr ganzes Leben die Ideologie al-Bashirs erlebt, die auf Islamisierung und Arabisierung der ganzen Bevölkerung abzielte. So schrieb das Gesetz zur öffentlichen Ordnung vor, wie Frauen sich zu kleiden hätten. „70 Prozent der Demonstrierenden waren Mädchen und Frauen“, verdeutlichte die feministische Wissenschaftlerin die Geschlechterverhältnisse. Der Sturz des Diktators hätte Freiheit zum ersten Mal erlebbar gemacht.

Raubbau und Militärherrschaft

Sara Abbas betrachtete das Geschehen aus historischer Perspektive. „Vom Osmanischen Reich bis zum Britischen Empire war der Sudan ein kolonialisiertes Land“, erklärte die Politikwissenschaftlerin. Die Briten eroberten den Sudan von Ägypten aus, um den Zufluss des Nils dem Einfluss anderer Mächte, etwa der Franzosen, zu entziehen. Sie führten eine exzessive Baumwoll-Plantagenwirtschaft ein, um den Rohstoff in heimische Textilzentren wie Manchester zu exportieren und dort weiterzuverarbeiten. „Waren es früher Baumwolle, Sesam oder Erdnüsse, exportierte man nach der Unabhängigkeit 1956 Erdöl“, beschrieb sie die fehlende Wertschöpfung im Land. Seit 1956 habe es nur elf Jahre zivile Regierungen gegeben, verdeutlichte sie die Häufigkeit von Militärputschen.

Waffen, Gold und Migration

Im 2003 einsetzenden Darfur-Konflikt wurden Vergewaltigungen im großen Stil als Kriegswaffe eingesetzt. Die dafür verantwortlichen Milizen bildeten den Grundstock der späteren RSF. „Diese Milizen wurden auch bald zu Grenzwächtern, um Migranten an der Weiterreise nach Libyen zu hindern“, beschrieb Abbas die Folgen eines Migrationsabkommens der Europäischen Union mit al-Bashir. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) unterstützten die RSF, da die Monarchie in die von der Miliz kontrollierten Goldminen investiere. „80 Prozent des Goldes gelangt über die VAE auf den Weltmarkt“, beschrieb sie die wirtschaftlichen Verflechtungen. 2023 beliefen sich die deutschen Rüstungslieferungen an die VAE auf 78,2 Millionen Euro.

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