
Wie es vom linken Zukunftsprojekt des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ von Hugo Chávez in Venezuela unter dessen Nachfolger Maduro zu einem repressiven Unterdrückungssystem kommt, schilderte der Journalist Tobias Lambert in der 285. Folge des Dissens-Podcasts. Dabei sprach er auch über sein Buch „Gescheiterte Utopie? Venezuela ein Jahrzehnt nach Hugo Chávez“.
Protest gegen Wahlbetrug
„Die chávistische Basis in den armen Stadtvierteln und auf dem Land lehnt den Wahlbetrug von Nicolás Maduro teils offen ab“, erklärte Tobias Lambert zu den Kontroversen um die Präsidentschaftswahl 2024 in Venezuela. Doch habe es nach Protesten massive Verhaftungen gegeben, bei denen bis zu 2.000 Menschen eingesperrt wurden. Wegen der staatlichen Repression sei deshalb wohl kein weiterer Widerstand gegen das System zu erwarten, so der der Journalist. Mittlerweile sei es den linken „Chávisten“ sogar verboten, bei Wahlen eigene Kandidaten aufzustellen, so dass man von einer aufziehenden Diktatur sprechen könne.
Diktatur und Guerillakrieg
In den 50er Jahren war es unter einer Militärdiktatur zu einem Erdöl-Boom und einer damit einhergehenden Landflucht gekommen, bei der sich große Elendsviertel an den Rändern der Städte gründeten. „90 Prozent der Venezolaner*innen leben in urbanen Gebieten“, schilderte Lambert die Lebensverhältnisse. Mit dem Ende der Diktatur 1958 etablierte sich eine parlamentarische Demokratie, bei der sich sozial- und christdemokratische Partei die Macht unter sich aufteilten. Die Kommunistische Partei wurde zeitweise verboten und es kam zu einem Guerillakrieg linker Kräfte. Nach der Beendigung des Konflikts engagierten sich viele Kämpfer*innen in sozialer Stadtteilarbeit.
Putsch und Präsidentschaftswahl
Innerhalb des Militärs gründete sich unter Hugo Chávez eine linke Bewegung. 1989, als der Erdölpreis fiel und staatliche Ausgaben gekürzt wurden, plünderten die Menschen aus den Elendsvierteln die Läden in den Stadtzentren, woraufhin die Regierung die Armee gegen die hungernden Bürger*innen einsetzte. 1992 scheiterte ein Putsch gegen die neoliberale Regierung kolossal, doch konnte Chávez eine etwa einminütige Fernseher-Ansprache halten, was eine große Politisierung in den Elendsvierteln bewirkte. „Nach seiner Haftentlassung reiste er durchs Land und sprach mit den Menschen über ihre Probleme“, erläuterte Lambert die weiteren Schritte. Das Ergebnis: Chávez trat 1998 zur Präsidentschaftswahl an – und gewann.
Landreform und direkte Demokratie
2002 setzte Chávez, der damals programmatisch als linker Sozialdemokrat gelten konnte, eine Landreform um, die Kleinbäuer*innen 4 Millionen Hektar Land übereignete. Ebenso setzte er auf die Verstaatlichung des privaten Erdölsektors. Ebenso verankerte er direktdemokratische Volksabstimmungen, mit denen Politiker*innen nach der Hälfte ihrer Amtszeit mit Mehrheitswahlrecht wieder abgewählt werden konnten. „Selbst Gesetze und Präsidial-Dekrete konnten durch die Bevölkerung wieder zurückgenommen werden“, führte Lambert weitere Maßnahmen aus.
Kommunale Räte und Selbstverwaltung
2006 gewann er die Präsidentschaftswahl unter den Motto „Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Darunter fiel etwa die Bildung von Kommunalen Räten, deren Mitglieder jeweils rund 200 Haushalte vertraten und über die Verwendung staatlicher Gelder im Viertel abstimmten. Ebenso wurden Kooperativen und Arbeiter*innen-Selbstverwaltungen gefördert – jedoch erfolgte keine Evaluation über die erfolgreiche oder gescheiterte Umsetzung. „Chávez‘ Sozialpolitik führte zur Halbierung der Armut von 50 auf 25 Prozent und wurde von der UN hoch gelobt“, kam der Buchautor auf die Erfolge zu sprechen. Allerdings tat er nichts gegen die grassierende Korruption, durch die dem Staat bis zu 300 Milliarden Dollar verloren gingen. Das Geld fehlte schließlich zur Diversifizierung der Wirtschaft, um sie vom Öl-Extraktivismus unabhängig zu machen.
Ölpreis und Hyperinflation
Nach dem Tod von Chávez 2013 wurde Maduro mit knapper Mehrheit zum Präsidenten gewählt, wobei die Regierung sämtliche Wahlergebnisse aus Transparenzgründen im Internet veröffentlichte. Allerdings führte der sinkende Erdölpreis dazu, dass die Subventionen für Benzin und Lebensmittel nicht mehr aufrechterhalten werden konnten. 2015 errang die Opposition bei den Parlamentswahlen eine Zweidrittel-Mehrheit, jedoch verhinderte die Maduro-Regierung ein Zusammentreten des Parlaments, um keine Macht abgeben zu müssen. „Wegen der Hyperinflation gilt der Dollar als akzeptiertes Zahlungsmittel, ein Monatslohn liegt bei wenigen Dollar“, schildert Lambert die Zustände, die auch auf massive US-Sanktionen zurückzuführen sind.
Gefälschte Wahlen
Unter der Hand komme es zur Privatisierung von Staatsunternehmen, auch wenn niemand wisse, an wen die Gewinne fließen. Aus Angst vor meinungsstarken Kritiker*innen untersagte Maduro die weitere Wahl der Kommunalen Räte. Zur Präsidentschaftswahl 2024 wurde die ursprüngliche Kandidatin nicht zugelassen, stattdessen trat der eher unbekannte Ex-Diplomat Edmundo González an. „Aus meiner Sicht ist die Wahl ganz klar gefälscht“, kommentierte dieser den vom Präsidenten des Obersten Wahlrates verkündeten Wahlsieg Maduros. Die Regierung weigert sich, die detailliert nach Wahllokalen aufgeschlüsselten Daten öffentlich zugänglich zu machen – ein Verstoß gegen das Gesetz. Die Opposition, USA und EU sehen in González den rechtmäßigen Sieger, während autoritäre Regierungen wie die Türkei, die Volksrepublik China, Russland oder der Iran den bisherigen Amtsinhaber Maduro anerkennen.
Weiterführende Links:
- Dissens (4.12.2024): Venezuela: Wie konnte es zum Niedergang der sozialistischen Utopie kommen? – https://podcast.dissenspodcast.de/285-venezuela
- Die Linke SC-RH (3.4.2025): Argentinien. Umkämpfte Geschichte – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/international/argentinien-umkaempfte-geschichte/
- Weber, Hans (13.12.2024): Linke Opposition gegen Regierung Maduro gründet Organisation in Venezuela – https://amerika21.de/2024/12/272909/linke-opposition-gegen-maduro-venezuela