Ein bitteres Fazit hat Ulrich Schneider vom Paritätischen über die Krisenpolitik in Deutschland gezogen. Denn von den staatlichen Hilfsmaßnahmen hätten vor allem die höheren Einkommen profitiert, so dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufging. Die Buchvorstellung von „Krise: Das Versagen einer Republik“ wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert.
Eine bessere Gesellschaft
Bei der Bundestagswahl 2021 habe er Hoffnung gehabt, gesteht Ulrich Schneider. Denn mit 40,5 Prozent der Zweitstimmen hätten SPD und Grüne eine deutliche Mehrheit gegenüber der FDP mit ihren 11,5 Prozent erreicht. „Beide wollten eine Vermögenssteuer einführen und die Erbschaftssteuer reformieren“, erinnerte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. In den Wahlprogrammen war die Kindergrundsicherung ebenso vorhanden wie die Erhöhung der Regelsätze. „So hätte sich etwas in der Gesellschaft zum Besseren wenden können“, beschrieb er diese Situation.
FDP verhindert Investitionen
Das Sondierungspapier habe jedoch klar gemacht, dass es keine Steuererhöhungen und auch keine Abkehr von der Schuldenbremse geben werde. „Somit waren die notwendigen klimapolitischen Maßnahmen, aber auch die Pflegereform oder Investitionen in Bildung schlichtweg nicht finanzierbar“, erläuterte Schneider die Folgen. Und auch das erste Maßnahmenpaket der Ampel-Regierung hatte mit der Entlastung von Bedürftigen kaum etwas zu tun. So wurden vor der anstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 23 Milliarden Euro an Privathaushalte verteilt.
Entlastung für Besserverdienende
Doch halfen der Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket ärmeren Familien ebenso wenig weiter wie die Abschaffung der EEG-Umlage. „Der größte Entlastungseffekt trat bei denen ein, die auch am besten verdienen“, beschrieb er die Auswirkungen der Pendlerpauschale und die Erhöhung des steuerfreien Grundfreibetrags. Von der EEG-Umlage profitierten die mit dem höchsten Stromverbrauch. „Das ist nicht die 1,5-Zimmer-Wohnung, sondern das Anwesen mit dem zweiten Kühlschrank, dem Pool und der hauseigenen Sauna“, verdeutlichte Schneider die Hintergründe. Lediglich 3 Milliarden Euro der staatlichen Maßnahmen waren direkt an Bedürftige adressiert gewesen. Auch das habe dazu geführt, dass die Schere zwischen Arm und Reich größer wurde.
Sinnvolle Ausgaben nötig
Während der Corona-Pandemie sei den Menschen hingegen bewusst geworden, dass eine gesamtgesellschaftliche Solidarität existenziell sei. Sie habe die schlechten Arbeitsbedingungen von Fremdarbeiter*innen in der Fleischindustrie offengelegt und gezeigt, dass Familien mit geringem Einkommen in beengten Wohnverhältnissen mit schlechter digitaler Ausstattung lebten. „Die hunderte Milliarden für Konjunkturprogrammen hätten vernünftig ausgegeben werden können, so dass die Gesellschaft wieder zusammengeführt wird“, lautete seine Kritik an den politisch Verantwortlichen.
Wer profitiert von Armut?
Diese Solidarität sei in der Folgezeit auch nicht mehr eingefordert worden. Zwar hatten Sozial- und Umweltverbände gemeinsam mit Gewerkschaften am 22. November 2022 in Berlin mit einem „Tag der Solidarität“ für eine bessere Steuerpolitik aufgerufen. Doch gekommen waren lediglich 5.000 Interessierte. „Der Kundgebung zur Unterstützung der Frauen im Iran folgten 80.000 Menschen“, sprach Schneider eine zeitgleich stattfindende Veranstaltung an. Kritisch sah der Geschäftsführer, dass die Armutslobby aus Vereinen und Wohlfahrtsverbänden bei Gesetzesvorschlägen der Bundesregierung mit ihren Stellungnahmen lediglich Verbesserungen in einzelnen Absätzen und Paragraphen erreiche. „Es müsste die Frage gestellt werden, wer von der Armut profitiert, wie viel Geld es bräuchte, um sie abzuschaffen und die entsprechende Forderung gestellt werden“, sagte er.
Aufklärung gegen neoliberales Paradigma
Doch in dem Wissen, dass es keine politischen Mehrheiten für eine linke Steuer- und Sozialpolitik gibt, fordere man statt der notwendigen Regelsätze von 813 Euro lediglich 650 Euro – wohl wissend, dass sich Armut so nicht überwinden lasse. „Wir müssen weiterhin aufklären, dass neoliberale Schlagworte die Menschen nicht glücklich machen“, lautete Schneiders realpolitische Einschätzung. Denn Wettbewerb sei auch ein Kampf, der nicht immer gut sei. Der Mensch als ein soziales Wesen brauche die Gemeinschaft und sei nicht sein eigenes Glückes Schmied.
Weiterführende Links:
- RLS (1.7.2024): «Krise: Das Versagen einer Republik» – Buchvorstellung mit Ulrich Schneider – https://www.youtube.com/watch?v=9WqdOpvcqgY
- Die Linke SC-RH (19.3.2024): Armutszeugnis. Von Klassenfragen und Aufstiegsmärchen – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/wirtschaft/armutszeugnis-von-klassenfragen-und-aufstiegsmaerchen/
- Die Linke SC-RH (7.3.2024): Armutszeugnis. Von oben und unten – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/wirtschaft/armutszeugnis-von-oben-und-unten/