
Wie gemeinsame Bündnisarbeit zu Selbstermächtigung und zum Kampf gegen ausbeuterische Lebensverhältnisse wird, schreibt Jule Govrin in ihrem Buch „Universalismus von unten“. Die Autorin stellte es in „linksbündig“, der literarischen Reihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung, vor.
Kapitalismus bedeutet Ungleichheit
Ermöglicht die Wirtschaft das körperliche Wohlergehen oder führt sie zur Prekarisierung der Lebensbedingungen? Diese Frage stellt Jule Govrin in ihrem Buch „Universalismus von unten“. „Der Kapitalismus untergräbt systematisch das Gleichheitsversprechen der Moderne“, blickte sie auf unser aktuelles Wirtschaftssystem. Dem wolle sie eine Ökonomie entgegensetzen, die auf die Verbundenheit kooperierender Körper aufgebaut sei, um so eine Grundlage für eine Politik der Gleichheit zu bilden.
Autoritarismus statt Solidarität
Während der Corona-Pandemie habe sie über den Zusammenhang von Körper und Gleichheit nachgedacht, erklärte Govrin. Denn hier sei Ungleichheit in Bezug auf Ausbeutung, fehlendem Gesundheitsschutz und Ansteckung besonders grell zutage getreten. „Kurzzeitig schien die Hoffnung auf, dass sich aus den Erfahrungen der Lockdowns eine neue solidarische Gesellschaftsform entwickeln könnte“, erinnerte sie sich. Doch habe sich das nicht bewahrheitet – stattdessen habe es noch stärkere Krisenmomente gegeben, die den autoritären Kräften Aufwind gegeben hätten.
Leeres Regal wird zur Katastrophe
„Verarmung und Verelendung sind Bestandteil der Körpergeschichte des Kapitalismus“, hielt die Professorin der Universität Hildesheim fest. Die Wetterextreme in Zeiten der Klimakatastrophe und epochale Konflikte folgten wirtschaftlichen Krisenlagen. „Die Lasten tragen vor allem die, die nicht den Gewinn der kapitalistischen Ausbeutung einstreichen“, nahm sie die Opfer des Systems in den Blick. „Wohlstandsgewöhnte Menschen im Westen haben die Verletzlichkeit des Körpers erst durch Starkregenereignisse oder den Zusammenbruch der internationalen Lieferketten bemerkt, wenn der Warenfluss im Supermarkt ausbleibt“, analysierte sie die unterschiedliche Wahrnehmung von Einkommensklassen.
Kredittilgung statt Essen
Im Fokus der Ausbeutung stünden auch Haushalt und Reproduktion. So seien viele Menschen gezwungen, Schulden zu machen, um zu leben. „Mütter verzichten auf ihre Mahlzeit, wenn die monatliche Kreditrate das Geld fürs Essen verschlingt“, nannte Govrin ein Beispiel. Dies zeichne sich ebenso in die Körper der Frauen ein wie bei denen, die nicht aus der Wohnung des gewalttätigen Partners ausziehen könnten, weil sie sonst mittellos auf der Straße stünden. Direkt körperliche Folgen der Schulden seien Kopfschmerzen, erhöhter Blutdruck und Schlaflosigkeit, zählte sie einige Punkte auf.
„Wir sind alle gleich“
Vor allem migrantische und weibliche Menschen seien Opfer der Ausbeutung, beschrieb sie das System der Ungleichheit. Daran habe sich über die Jahrhunderte – sei es auf den Plantagen der Kolonien oder im privaten Haushalt, dessen unentgeltliche Care-Arbeit fast ausschließlich von Frauen geleistet werde – nichts geändert. Dem setzt die Philosophin jedoch Solidarität und kooperative Beziehungen entgegen. „Wir sind alle körperliche Wesen – darin gleichen wir uns trotz all unserer Unterschiede“, hielt sie fest. Solch eine habituelle Praxis der Gleichheit könne man beispielsweise in Protestbewegungen, Hausprojekten oder Kiezbündnissen erfahren.
Bürgertum und Ausbeutung
„Das Buch stellt anschaulich dar, wie wir gemeinsam Politik gestalten können, um gesellschaftliche Verhältnisse voranzutreiben“, lobte Friederike Beier die Ideen der Autorin. Beruhe doch die bürgerliche Ordnung der Gleichheit darauf, dass die körperliche Arbeitskraft der Anderen ausgebeutet und enteignet werde. „Während der weiße Mann auf dem freien Markt und in der Öffentlichkeit den homo oeconomicus verkörpert, wird dessen Körper von den Ausgebeuteten umsorgt“, brachte sie die Ungleichheit auf den Punkt.
Doppelbelastung für Frauen
„Armut und Ungleichheit tötet“, fasste die Mitarbeiterin des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft der FU Berlin prägnant zusammen. So geschähe strukturelle Verwundbarmachung etwa durch Arbeitsbelastung und körperschädigende Beschäftigungsbedingungen, schlechte Wohnverhältnisse, fehlende Gesundheitsfürsorge und mangelnde Mittel zur gesunden Ernährung. „Menschen, die in Armut leben, sterben früher“, rief sie die herrschende Studienlage zur Armutsforschung in Erinnerung. Auch führten Sparmaßnahmen im staatlichen Care-System dazu, dass dann vor allem Frauen einer Mehrfachbelastung durch Haushalt, Erziehung und unbezahlter Pflege unterliegen.
Solidarische Selbstermächtigung
Dem müsse der Gedanke einer grundlegenden Gleichheit entgegengesetzt werden, der sich in Gemeinwohl-Ökonomien verwirklichen könne, forderte sie. So manifestierten sich solidarische Praktiken im Miteinander der sich organisierenden Menschen. „Das Gefühl von Verbundenheit wird körperlich erlebbar“, Durch eine kollektive Analyse und Kritik der Verhältnisse könne das Bewusstsein geschaffen werden, dass die Ursachen von Überlastung und Verschuldung nicht im einzelnen Menschen, sondern im strukturellen System begründet liegen. „Statt eines politikverdrossenen Regiert-Werdens kann so durch gemeinschaftliche Aktionsbündnisse Mitbestimmung und Selbstermächtigung entstehen, beschrieb Beier Dynamiken der sozialen Bewegungen. So könnten radikaldemokratische Organisationsweisen Eingang in staatliche Regierungsarbeit finden, wie dies am Beispiel der Kommunalregierungen der ,Sorgenden Städte“ in Barcelona und Santiago de Chile der Fall sei.
Weiterführende Links:
- RLS (14.1.2025): Universalismus von unten. Eine Theorie radikaler Gleichheit – https://www.youtube.com/watch?v=B30HTgGcyQU
- Die Linke SC-RH (8.4.2023): Feministische Vergesellschaftung von Sorge – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/gesellschaft/feministische-vergesellschaftung-von-sorge/
- Die Linke SC-RH (26.1.2022): Gerhard Trabert. Ein Bundespräsident für soziale Gerechtigkeit – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/politik/gerhard-trabert-ein-bundespraesident-fuer-soziale-gerechtigkeit/