Bezahlbarer Wohnraum ist möglich

08. Oktober 2024  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Die Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain nach der vollständigen Sanierung im Jahr 2006 (Wikimedia Commons: Gryffindor, gemeinfrei)

Wie linke Regierungen in Spanien und Kroatien für eine bessere Wohnsituation und mehr Mieter*innenschutz sorgen können zeigte die Veranstaltung „Bezahlbarer Wohnraum ist möglich!“. Bei der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Diskussion rückte auch der Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ in den Fokus.

Tourismus statt Sozialwohnungen

In Barcelona, einer Stadt mit über 1,5 Millionen Einwohner*innen, habe es bei ihrem Regierungsantritt 2015 gerade einmal 7.500 Sozialwohnungen gegeben, berichtete Vanesa Valiño, die frühere Leiterin der Wohnungsbauabteilung im Stadtrat. „Stattdessen gab es 9.000 Apartments für Tourist*innen, tausende weitere Wohnungen wurden illegal an Urlauber*innen vermietet“, machte sie die Probleme der Menschen vor Ort deutlich.

Aktivist*innen machen Politik

Als 2008 die Immobilienblase platzte, sei es in Spanien zu zahlreichen Demonstrationen gekommen, die eine neue Wohnungspolitik forderten. „Viele von uns waren in diesen sozialen Bewegungen aktiv, etwa der Bürger*innen-Initiative Plataforma de Afectados por la Hipoteca (Plattform der Hypotheken-Kritik), erläuterte sie. Auch die spätere Bürgermeisterin Ada Colau vom Bündnis Barcelona en Comú entstamme diesem Milieu. „Als Colau, eine Frau aus der Arbeiter*innen-Klasse, zur ersten Bürgermeisterin gewählt wurde, war es in Barcelona wie bei einem großen Straßenfest“, erinnerte sich Valiño.

Besitz-Klasse macht mobil

Die neue Stadtregierung setzte sich gegen Spekulation und Gentrifizierung ein und versuchte, die Gesetzgebung auch landesweit hin zu mehr Mieter*innenschutz zu verändern. „Es kam zu 15 Gerichtsprozessen gegen unsere Vorhaben“, schilderte Valiño die Reaktion. In den Medien wurde suggeriert, alle Eigentumswohnungen in Barcelona sollten von Hausbesetzer*innen okkupiert werden. „In den Sozialen Medien wurde die Lüge verbreitet, Colau wolle sich einen prachtvollen Palast erbauen“, schilderte sie die Flut von Fake-News gegen die linke Politikerin. Doch setze man sich trotzdem für einen gesamtgesellschaftliche Bewusstseinswandel weg vom individualisierten Besitzdenken hin zu sozialer Verantwortung und gemeinsamem Teilen – auch im Wohnsektor – ein.

Gegen kommunalen Ausverkauf

„Die Situation, die Vanesa aus Barcelona schildert, erinnert mich an meine Eindrücke aus Zagreb“, griff Iva Marčetić, einstige Leiterin der Kommission zur Verbesserung des Managements der kommunalen Wohnungen in der kroatischen Hauptstadt den Bericht ihrer Vorrednerin auf. Vor dem Wahlsieg der grün-linken Koalition und dessen Bürgermeister Tomislav Tomašević 2021 hatten Vertreter*innen aus Zagreb drei Mal Barcelona besucht, um von den dort gemachten Erfahrungen zu profitieren. „Wir verboten den Verkauf von städtischen Wohnungen“, beschrieb sie eine der ersten Amtshandlungen. Denn der Fokus läge auf dem Erhalt kommunaler Flächen, nicht deren unwiderruflichen Verkauf, betonte Marčetić.

Berliner*innen für Enteignung

Carolin Blauth beschrieb die enorme Mobilisierung für den Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. „Über eine Million Berliner*innen stimmte dafür, das sind mehr, als bei der letzten Wahl SPD, Grüne und Linke wählten“, erläuterte sie. So sei es möglich gewesen, den Diskurs hin zu Enteignung und der Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsordnung zu verschieben. Auch habe die eingesetzte Kommission in ihrem Zwischenbericht erklärt, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne möglich sei.

Gemeinsam gegen Erhöhungen

„Der regierende Bürgermeister Kai Wegner ist ein entschiedener Gegner dieser Pläne“, wies sie auf die Haltung des CDU-Stadtoberhauptes hin. Notfalls wolle er den Vorgang auch vor das Verfassungsgericht bringen, um ihn zu verhindern. Doch trotz der geänderten politischen Lage seien die Aktivist*innen weiterhin in den Stadtteilen präsent. „Wir organisieren Mieter*innen in ihren Hausgemeinschaften“, nannte Blauth eine Aktionsform. Durch solche Zusammenschlüsse könnten sich die Menschen gemeinsam besser gegen Erhöhungen der Nebenkosten zur Wehr setzen.

Wohnen als Klassenfrage

Janine Wissler, Parteivorsitzende der Linken, sah im Kampf um bezahlbaren Wohnraum eine der entscheidenden sozialen Fragen unserer Zeit. „Die Wohnungsfrage ist eine Klassen-Frage“, stellte sie klar. In manchen Städten seien die Mieten in den vergangenen Jahren um bis zu 60 Prozent gestiegen. Auch die Koppelung von Mietkosten an die Inflation habe zu großen Preissteigerungen geführt. Große Wohnungsbestände der Kommunen seinen privatisiert worden, Konzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen trieben die Preise in die Höhe. „Im Durchschnitt zahlen Mieter*innen jährlich 2.000 Euro an die Aktionär*innen“, sprach sie das Problem an.

Die Eigentumsfrage stellen

Doch statt die Ursache – die Eigentumsfrage – anzugehen, habe die Ampel-Regierung den Kreis der Wohngeld-Bezieher*innen ausgeweitet und würde so die hohen Mieten mit Geld der Allgemeinheit subventionieren. „In Frankfurt haben, gemessen an ihrem Einkommen, 48 Prozent der Bevölkerung Anspruch auf eine Sozialwohnung“, benannte Wissler die Situation in der hessischen Metropole. Jedoch habe sich die Zahl der Sozialwohnungen halbiert. „2022 sind lediglich 88 neue Sozialwohnungen geschaffen worden“, wies sie auf das Missverhältnis hin. Denn alle 12 Minuten fiel eine Wohneinheit aus der Sozialbindung.

Steuern statt Spekulation

„Es braucht einen bundesweiten Mietendeckel, der auch Neubauten mit einschließt“, setzte sie dem entgegen. Ein weiteres Problem seien die Bodenpreise. Durch Spekulation hätten sich die Preise mancherorts verdreifacht. „Diese Gewinne müsste man komplett wegbesteuern“, erklärte die Politikerin. Und um der demografischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, sollten Formen des Wohnungstausches gestärkt werden. „Eine verwitwete Seniorin will statt in ihrer Vier-Zimmer-Wohnung vielleicht lieber in einer kleineren, aber dafür barrierefreien Wohnung leben“, nannte Wissler ein Beispiel. Im Gegenzug könne eine mehrköpfige Familie in ihr bisheriges Quartier ziehen, wenn deren eigene Zwei-Zimmer-Behausung zu klein sei.

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