Nach dem Referendum gegen das Spardiktat von Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission, bei dem die griechische Bevölkerung mit klarer Mehrheit der Regierung von Alexis Tsipras den Rücken gestärkt hat, haben die Spitzen der EU eine Woche später dem griechischen Ministerpräsidenten und seinem Land verschärfte Bedingungen für ein neues finanzielles „Hilfspaket“ diktiert.
Diese werden von den Betroffenen nicht nur als tiefe Demütigung empfunden, sondern sie bedeuten auch die Abkehr von Werten, die die Einigung Europas beflügelt haben.
Waren es einst die Ideen von Demokratie und einem gleichberechtigten Miteinander, von friedlicher Konfliktregelung und gegenseitiger Unterstützung, so prägen derzeit Konkurrenzdenken und Machtpoker, wirtschaftlicher Egoismus und massive Eingriffe in die Souveränität eines einzelnen Staates die europäische Szene. Es ergibt sich die paradoxe Situation, dass der Chef der Syriza-Regierung, um Liquidität der Banken zu bekommen, gegen den Widerstand großer Teile seines Bündnisses und auch gegen die eigene Überzeugung ein von den „Institutionen“ aufoktroyiertes Programm durchpauken muss, das ihm kaum politische Handlungslungsfreiheit lässt und für die Bevölkerung keine Verbesserungen, sondern nur weitere Einschränkungen mit sich bringt.
Die griechische Bevölkerung hat sich mit guten Gründen gegen die Fortsetzung der vor allem von der Regierung Merkel geforderte und mit brachialer Gewalt durchgesetzte Austeritätspolitik, aber gleichzeitig für den Verbleib in der Euro-Währungsunion entschieden. Ein Ausstieg aus dem Euro wäre für das Land katastrophal: Mit einer abgewerteten Drachme würden Exporte – die das Land nur begrenzt bei einigen landwirtschaftlichen Produkten erbringen kann – zwar etwas günstiger und der Tourismus hätte davon Vorteile. Gleichzeitig würden jedoch alle Importe, auf die Griechenland vor allem infolge der fehlenden Industrieproduktion angewiesen ist, erheblich teurer. Ein „Grexit“ würde die katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation (hohe Arbeitslosigkeit, gekürzte Renten, von denen häufig die ganze Familie leben muss, kollabierendes Gesundheitssystem etc.) weiter verschärfen. Im übrigen würde er auch die sogenannten „Geberländer“, d.h. deren Steuerzahler, in erheblichem Maße finanziell belasten. Finanzminister Schäuble hatte jedoch in Brüssel nichts Besseres zu tun, als für die neue Verhandlungsrunde einen „begrenzten Grexit“ vorzuschlagen – nach fünf Jahren könne Griechenland ja wieder in den Euroraum eintreten. Er bestätigte damit seinen Ruf als Scharfmacher aus der Riege der Finanzminister, die der verhassten Linksregierung Griechenlands am liebsten jegliche Unterstützung verweigern wollen. Zwar scheiterte er damit am Widerspruch der Ministerpräsidenten von Frankreich und Italien, sein Vorstoss signalisiert jedoch, dass es mit der vielbeschworenen Einigkeit im „Haus Europa“ vorbei ist. Inwischen geht ein tiefer Riss durch die Gemeinschaft. Der bis vor kurzem bestehende – oder zumindest nicht öffentlich in Frage gestellte − Konsens, dass Griechenland im Euro gehalten werden müsse, ist brüchig geworden und die Achse Berlin-Paris hat einen heftigen Knacks bekommen.
Die jetzige Vereinbarung, die auch weitere Privatierungen und eine Art Treuhandverwaltung der erzielten Erlöse vorsieht, kann die Verschuldungskrise Griechenlands nicht beheben. Sie zeigt vielmehr in aller Deutlichkeit, dass es innerhalb der gewohnten Funktionsweise des kapitalistischen Systems keine tragfähige Lösung gibt. Das Programm, das der IWF gegenüber „klammen“ Regierungen schon seit Jahren praktiziert, lautet: neue Kredite nur gegen Rückzahlung alter Schulden, verbunden mit einer Kürzung staatlicher Leistungen. Man nimmt an, durch Senkung der Löhne und eine strenge Sparpolitik könne sich die Wirtschaft wieder erholen und „konkurrenzfähiger“ werden, so dass sich damit auch die Kredittilgungsfähigkeit verbessere. Selbst wo dieses Programm angeblich funktioniert hat (wie z.B. in Irland), geht es nach der Rosskur den Menschen weiterhin schlecht. Der zentrale Punkt, das Schibboleth des Kapitalismus, lautet: Kredite müssen sich für den Kreditgeber lohnen, denn Kapital ist „Geld heckendes Geld“ (K. Marx). Schulden müssen mit Zinsen zurückgezahlt werden, auch wenn der Kreditnehmer dabei zu Grunde geht. Durch das Kürzungsdiktat brach die Binnennachfrage in Griechenland ein, die Arbeitslosigkeit stieg drastisch an und die Menschen verarmten bis weit in den Mittelstand hinein. Die sogenannten „Hilfs“-Kredite dienten nicht der Unterstützung der Menschen, sondern zu mehr als 90 Prozent den Zins- und Rückzahlungsforderungen des IWF und der europäischen Banken. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass sich dies bei einem neuen Hilfsprogramm wesentlich ändern wird. Bestehende Schulden durch immer neues Schuldenmachen tilgen zu wollen, ist jedoch absurd. Die dem Land aufgezwungene Austeritätspolitik hat auf der ganzen Linie versagt. Der Schuldenstand ist höher denn je und selbst der IWF geht davon aus, dass die aufgelaufenen Kredite in Höhe von ca. 320 Mrd. Euro nicht zurückgezahlt werden können. Die Forderung kann daher nur lauten: Kein neues „Hilfspaket“ mehr für Griechenland, das nur den bestehenden Schuldenstand erhöht! Stattdessen ein Schuldenschnitt mit Rückzahlungmoratorium für die restlichen Schulden und ein Förderprogramm für die Wirtschaft, das diesen Namen wirklich verdient!
Die „Rettung“ Griechenlands ist keine Frage, über die nur nach ökonomischen, am Profit orientierten Gesichtspunkten entschieden werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine Frage von erheblicher politischer Bedeutung. Dabei steht nicht allein, wie die Bundeskanzlerin zu betonen pflegt, die „Glaubwürdigkeit der griechischen Regierung“ zur Debatte, sondern auch die ganz Europas und speziell der deutschen Bundesregierung. Würde es nicht gelingen, Griechenland zu akzeptablen Bedingungen im Euro zu halten, wäre nicht nur das europäische Finanzsystem, sondern das gesamte Projekt Europa als gescheitert anzusehen. In der jetzigen Krise rächt sich, dass mit der Einführung des Euro ein Teil Europas zwar eine einheitliche Währung bekommen hat, dass jedoch keine Regelungsinstanzen, die die Ungleichgewichte der einzelnen Volkswirtschaften ausgleichen könnten, geschaffen wurden. Gerade deutsche Firmen haben in Griechenland jahrzehntelang glänzende Geschäfte gemacht, die mit Krediten finziert wurden, an denen deutsche Banken kräftig mitverdient haben – jetzt, nachdem die deutsche Seite gründlich abkassiert hat, empört man sich darüber, dass die Griechen angeblich „über ihre Verhältnisse gelebt“ haben und in der Krise „ihre Hausaufgaben nicht machen“. Den riesigen Exportüberschüssen des ökonomisch potentesten Landes in der Mitte der EU entsprechen steigende Schulden bei den Ländern an der Peripherie (neben Griechenland auch Spanien, Portugal, Italien) und vom Abwandern der jungen Arbeitslosen aus diesen Ländern profitiert am meisten die reiche, auf Zuzug angewiesene Bundesrepublik. Derartige Ungleichgewichte können auf Dauer nicht hingenommen werden. Um nicht nur die Symptome der Krise durch kurzfristige Finanzspritzen zu lindern, sondern die Ursachen dauerhaft anzugehen, bedarf es einer das Ganze im Blick behaltenden Politik, die auf einen Ausgleich zwischen ökonomisch stärkeren und schwächeren Ländern innerhalb der EU abzielt.
Zur Rettung Griechenlands brauchen wir ein solidarisches Europa, kein Zwangsregiment der Banken!