Die neoliberale Soziale Marktwirtschaft

20. September 2024  Politik
Geschrieben von Kreisverband


Wandbild an der Beckumer Straße in Ahlen zum Ahlener Programm und „Fringsen“, dem Plündern von Kohlenzügen aufgrund persönlicher Not (benannt nach Josef Frings, Erzbischof von Köln). (NordNordWest, CC BY-SA 3.0 de)

Obwohl die CDU sich mit dem Ahlener Programm 1947 klar gegen den Kapitalismus positionierte, setzte sie doch die Soziale Marktwirtschaft in der Partei und der gesamten Bundesrepublik durch. Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt erläuterten in „Wohlstand für Alle“ die neoliberalen Grundzüge dieser Strategie.

Programm des Neoliberalismus

Gesamtgesellschaftlich ist die Soziale Marktwirtschaft positiv besetzt, da sie mit dem sogenannten Wirtschaftswunder verknüpft wird und gerechte Chancen für alle ermöglichen soll, skizzierte Ole Nymoen die aktuelle Auffassung. Im Gegensatz dazu handele es sich bei „neoliberal“ um einen eher negativ bewerteten Begriff. Am Beispiel des Ökonomen Alexander Rüstow beschrieb er, dass beides zusammenhinge. Dieser hatte 1953 erklärt: „Das einzige eigenständige wirtschaftspolitische Gegenprogramm auf unserer Seite ist das des Neoliberalismus der Sozialen Marktwirtschaft nach der Prägung von Alfred Müller-Arnack, an dem meine Freunde und ich seit Jahren arbeiten.“

Staat garantiert Wettbewerb

1938 hatte Rüstow beim Colloque Walter Lippmann in Paris den Begriff „Neoliberalismus“ geprägt. Aus dem bisherigen Laissez-faire-Liberalismus entwickelte sich in Deutschland schließlich der Ordoliberalismus (ordo: lat. Ordnung). „Staatliche Interventionen werden nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern dafür genutzt, um die Wettbewerbsordnung zu garantieren“, erläuterte Nymoen den Unterschied. Denn dem gnadenlosen Unterbietungswettbewerb könnten die Unternehmen durch geheime Preisabsprachen und der Bildung von Kartellen begegnen. Dies müsse der Staat verhindern.

Mehrheit für staatliche Lenkung

„In den 1930ern waren Liberale in einer schwierigen Situation“, ordnete Wolfgang M. Schmitt die damalige ideologische Lage ein. Denn ein Großteil in Politik und Gesellschaft sprach sich für eine staatliche Lenkung der Wirtschaft aus. In diesem Sinne sei auch der „New Deal“ von US-Präsident Theodor Roosevelt zu sehen, der mit starken staatlichen Eingriffen die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929 überwinden und den Wohlstand auch den Ärmeren zukommen lassen wollte.

Konkurrenz und Wettbewerb

Die Ordoliberalen stellten sich darauf ein. „Der Staat soll den Rahmen für den Markt schaffen, in dem dann der freie Wettbewerb stattfinden kann“, spezifizierte der Youtuber. Denn durch die gegenseitige Konkurrenz würde Innovation und Weiterentwicklung vorangetrieben, es käme zu effizienteren Arbeitsprozessen und billigeren Produkten, so die Vorstellung. Dass dies keine Schonung für unterlegene Unternehmen bedeute, veranschaulichte er an dem Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Franz Böhm.

Wirtschaft vor Bürger „schützen“

„Es ist Pflicht aller, sich dem Wettbewerb zu unterziehen“, lautete dessen Credo. Dabei dürfte sich keinesfalls über eine Abschwächung des Leistungskampfes verständigt werden. Vielmehr müssten Unternehmen in den angespanntesten Leistungswettbewerb treten. „In dieser Auffassung muss der starke Staat den Wettbewerb auch gegen die Interessen der demokratischen Mehrheit sichern“, schlussfolgerte Schmitt. Die Ordoliberalen waren in Sorge, dass ihr Wirtschaftssystem per Mehrheitsentschluss beendet werden könnte, standen damals doch viele Menschen dem Kapitalismus kritisch gegenüber. Rüstow bezeichnete es 1932 als „jämmerliche Schwäche des Staates“, wenn sich dieser dem „Ansturm des Interessentenhaufens“ – also der Bürger- und Wähler*innen – nicht erwehren könne.

Privateigentum sichern

Damit die Wirtschaft floriere, brauche es Walter Eucken zufolge eine stabile Währung, Vertragspflicht, die Abschaffung internationaler Zölle und die Sicherung des Privateigentums durch den Staat. Allerdings dürfe dieser keine Preise festlegen, da diese sich durch das Spiel von Angebot und Nachfrage ergäben. Verspekuliere sich ein Unternehmer, müsse er für seinen Verlust dauerhaft haften. „Ludwig Erhard wollte eine möglichst freie Marktwirtschaft etablieren“, erläuterte Schmitt die Ziele des Bundeswirtschaftsministers.

Kapitalismus funktioniert nicht

Doch schlug ihm sowohl aus den eigenen Reihen als auch aus der breiten Bevölkerung starker Gegenwind entgegen. So hatte die CDU vor seinem Amtsantritt im Ahlener Programm bilanziert: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ Statt Kapitalismus brauche es eine grundlegende Neuordnung.

Liberale Realpolitik

In solch einer Atmosphäre sahen die ordoliberalen Vertreter*innen die Soziale Marktwirtschaft als eine Strategie, ihre Idee gegen die Widerstände in der Bevölkerung durchzusetzen. „Die Ideen der Ordoliberalen sollten in der Nachkriegsgesellschaft in Realpolitik umgesetzt werden“, hielt Nymoen fest. Diese Rechnung ging auf. 1949 revidierte Konrad Adenauer die antikapitalistische Stoßrichtung des Ahlener Programms durch die Düsseldorfer Grundsätze.

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