GEAS: Europa gegen Flüchtlinge

04. Februar 2025  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die Auswirkungen der schlimmsten Asylverschärfung Europas für geflüchtete Menschen, aber auch die Menschen innerhalb der EU waren Thema in der 24. Folge von Manypod. Das ist der migrationspolitische Podcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

„Festung Europa“

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) ist mit Stimmen der Grünen und der SPD auf europäischer Ebene verabschiedet worden und tritt 2026 in Kraft. „Das ist die schlimmste Asylverschärfung, die es in Europa je gegeben hat“, hält Maura Magni fest. Denn die Reform bedeute de facto das Ende des Rechts auf Asyl und der weiteren Abschottung der „Festung Europa“. Insgesamt handele es sich um elf Gesetze, die unter anderem dazu führen, dass nicht mehr der individuelle Fluchtgrund für die Aufnahme von schutzsuchenden Menschen entscheidend sei. „Jetzt ist lediglich das Herkunftsland der Person und die Staaten, über die sie floh, von Bedeutung“, erklärte die Politikwissenschaftlerin.

Kein Asyl für Erdoğan-Kritiker*innen

Diese Sachverhalte würden in „Grenzschnellverfahren“ abgearbeitet, wobei in den isolierten Lagern mit einem erschwerten Zugang zu Rechtsberatung für Flüchtlinge zu rechnen sei. „Liegt die Anerkennungsquote des Herkunftslandes unter 20 Prozent – wie etwa bei der Türkei – hat die Person gar keine Chance auf Asyl mehr“, erläuterte Magni. Gleiches gelte, wenn die Menschen über einen sogenannten „sicheren Drittstaat“ in die EU kämen. Die Verfahren finden in abgeschotteten Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen statt.

Internierungslager für Kinder

Wie schon 1993 käme es auch heute zu einem Erstarken rassistischer Strukturen und somit zu einer Verschärfung des Asylrechts. „Im Zuge von GEAS soll es auch an deutschen Grenzen Lager wie in Moria geben, in denen es eine ,Asylverfahrenshaft‘ gilt – auch für Familien mit Kindern“, gibt sie einen Ausblick auf die Zukunft. Auch strebe die Bundesregierung an, ohne Absprache mit dem Parlament oder dem Bundesrat festlegen zu können, welcher Staat als „sicheres Herkunftsland“ zu gelten habe. „Da Migration nicht mit positiven Transformationsansätzen verknüpft wurde, überließ man es als ,Problemfeld‘ den Rechten, die jetzt diese Früchte ernten“, kritisierte Magni. Eine Studie der Universität Hildesheim habe jedoch gezeigt, dass eine Mehrheit der Städte und Kommunen die weitere Aufnahme von Schutzsuchenden für machbar halte. „300 Kommunen haben sich zu ,sicheren Häfen‘ erklärt, um zusätzlich Geflüchtete aufzunehmen“, nannte sie ein Beispiel.

Lügen von Rechts

In den letzten zehn Jahren sind im Mittelmeer über 21.000 Menschen ertrunken, so dass es als die tödlichste Grenze der Welt gilt. „Nachdem 2013 vor Lampedusa an einem Tag fast 400 Menschen ertranken, rief die italienische Küstenwache die Seenotrettungsmission ,Mare Nostrum‘ ins Leben“, erinnerte sich Lea Reisner. Doch da die EU sich weigerte, sich an den Kosten zu beteiligen, musste sie wieder eingestellt werden. Deshalb begannen 2015 zivile Organisationen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Daraufhin brachte die rechtsextreme Identitäre Bewegung das Gerücht in Umlauf, die Seenotretter*innen würden mit Schlepper-Organisationen zusammenarbeiten. „Der damalige Frontex-Chef Fabrice Leggeri, der mittlerweile für den rechtspopulistischen französischen Rassemblement National im EU-Parlament sitzt, behauptete, dass es dafür Beweise gäbe“, erläuterte die Linken-Kandidatin für die EU-Wahl den Fortgang.

Menschenrecht auf Folter?

In Deutschland verbreiteten konservative Politiker wie Horst Seehofer (CSU) und Thomas de Maizière (CDU) diese Anschuldigen. Die Konsequenz: Die Schiffe der NGOs wurden beschlagnahmt, die staatlichen Rettungseinheiten komplett aus dem Seegebiet abgezogen und stattdessen die libysche Küstenwache aufgerüstet. Die europäische Luftüberwachung gibt wiederum Koordinaten von Flüchtlingsbooten an die Küstenwache weiter, damit diese die Menschen wieder zurück auf den afrikanischen Kontinent bringt. „Dort landen sie meist in Lagern und Gefängnissen, in denen es auch zu Folter kommt“, skizzierte Reisner das Schema der europäischen Grenzsicherung.

Ablenkung von sozialer Ungerechtigkeit

Dieser menschenverachtenden Politik müsse man eine internationale Vernetzung über Grenzen hinweg entgegensetzen. Neben sicheren Einreisemöglichkeiten und schnellen Anerkennungsverfahren brauche es auch den Erhalt des Wahlrechts, damit geflüchtete Menschen in der neuen Gesellschaft aktiv mitbestimmen können. „Durch die Debatte um Migration wird in der kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr über die Ungleichheit von oben und unten, sondern nur noch über das Innen und Außen gesprochen“, nannte sie einen systemstabilisierenden Effekt der Abschottung.

Austausch statt Abschottung

Im Gegensatz zur „Berliner Mauer“ habe die EU-Außengrenze trotz ihres Stacheldrahts keine antikommunistische Codierung, sondern werde als „natürliche Grenzziehung“ wahrgenommen, erklärte Frank Wolff. Dabei wird auch die Erzählung bemüht, man benötige starke Grenzen, um das Innere des liberalen Staates zu schützen. Doch sei der Ursprung der Union mit der Überwindung von Grenzen nach zwei Weltkriegen, damit die Staaten aufeinander zugehen können, ein gänzlich anderer gewesen. „Friede wird nicht durch den Ausbau von Grenzen und deren Militarisierung gesichert, sondern mit Kooperation und Austausch“, hielt der Historiker fest.

Die autoritäre Gesellschaft

Denn das Abschottungsdenken im Äußeren verändere auch das Innere einer Gesellschaft. „Ein Forschungsansatz besagt, dass dieses ,Grenzspektakel‘ bewusst von bestimmten Kräften inszeniert wird, um die Gesellschaft umzuwandeln“, sagte er. So würde mit der Migration eine „unlösbare“ Aufgabe präsentiert, bei der einzig der eigene repressive Politikstil der Garant zur Überwindung dieses „Problems“ sei. Dies führe zu einer immer massiven Radikalisierung des Grenzregimes und die Gewalt normalisiere sich.

Repression im Inneren

„Alles, was wir an der EU-Außengrenze sehen, spiegelt sich im Inneren wider“, griff Emily Barnickel diese Analyse auf. Es werde suggeriert, wenn das „Problem“ der illegalen Grenzübertritte und der Asylleistungs-Empfänger*innen nicht mehr da sei, es in der Gesellschaft keine Probleme mehr gäbe. „Die Idee einer pluralen Gesellschaft geht verloren, da der Diskurs nur auf den ,bedrohlichen‘ Anderen verengt wird“, warnte die Sozialarbeiterin. Doch könnten Bezahlkarten für Flüchtlinge im nächsten Schritt auch auf unkooperative Bürgergeld-Empfänger*innen oder – nach merz‘scher Manier – auf „Sozialtourist*innen“ aus der Ukraine ausgeweitet werden. „So werden innerhalb einer Gesellschaft Mauern der Ungleichheit errichtet“, schlug sie den Bogen von äußerer Abschottung zur inneren Repression.

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