Kunst-Kollektiv statt Einkaufstempel

23. Januar 2025  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Stuttgart hat 2020 mittels Vorkaufsrecht die Galeria-Kaufhof-Filiale in der Eberhardstraße erworben. Laut Gemeinderat sollen mindestens 20 Prozent der Geschossfläche für Wohnungen dienen. Hier die Filiale in der Königstraße. (Ra Boe / Wikipedia, CC BY-SA 3.0 de)

Möglichkeiten gemeinwohlorientierter Nachnutzungen, wenn ein ganzes Shoppingcenter leersteht, wurden bei der Veranstaltung „Kämpfe um Eigentum und Finanzierung“ diskutiert. Diese wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert.

Konsumorientierte Erlebniswelt

Große Warenhäuser seien in den Stadtzentren immer noch präsent, während ihre Anzahl in den Randbezirken jedoch zurückgehe, erläuterte Susanne Heeg. „Der Trend geht zu emotional aufgeladenen Erlebniswelten in Richtung Concept-Stores“, beschrieb die Stadtforscherin die Entwicklung. So nehme der Gesamtumsatz an Textilien und Lebensmittel massiv zu und auch der filialbasierte Einzelhandel werde gestärkt, während inhaber*innengeführte Geschäfte zurückgingen.

Neoliberaler Wettbewerb

Dieser Prozess zur „unternehmerischen Stadt“ war schon 1989 vom marxistischen Geograf David Harvey beschrieben worden. Bis zum Ende der 80er Jahre habe Stadtpolitik durch Schaffung von Infrastruktur, etwa kommunaler Sorge-Einrichtungen, eine Wohlfahrtsorientierung verfolgt. Doch neoliberale Kritik an den dadurch anfallenden Kosten, die besser von den privaten Haushalten selbst getragen werden sollten, sorgten für einen Wandel. „Die Kommune konzentrierte sich darauf, die eigenen ökonomischen Potenziale auszuschöpfen, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, hielt Heeg fest.

Attraktivität für Wohlhabende

Um die kommunalen Steuereinnahmen zu steigern, setzte man deshalb auf den Zuzug von wohlhabenden Haushalten. Und das Rezept dazu lautete: Eigenheim. „So begann der Ausverkauf kommunaler Liegenschaften, um große Immobilienprojekte zu verwirklichen“, skizzierte sie das Geschehen. Im Rahmen der so genannten „Beautyfication“ wurden bestimmte Gruppen aus zentralen Innenstadtlagen vertrieben, aber auch die öffentliche Überwachung für ein subjektiv stärkeres Sicherheitsgefühl ausgebaut. Was hingegen nicht ausgebaut wurde, waren Pflegeheime. „63,1 Prozent der Pflege wird von Frauen zuhause übernommen“, zitierte Heeg die aktuelle Datenlage. Rund 40 Prozent der Frauen gaben für die unbezahlte Care-Arbeit ihre Lohnarbeit komplett auf, während 30 Prozent nur noch Teilzeit arbeiten konnten. „Die zukünftige Stadt muss Sorgearbeit dezentral und gemeinschaftlich organisieren“, forderte sie.

65 Jahre Warenhausrückgang

Zwei Drittel der deutschen Vermögen, also rund 10.000 Milliarden Euro, seien in Immobilien angelegt, erklärte Christoph Trautvetter. Davon stecke die Hälfte in Wohnungen, die einzelnen Gewerbe machten mit Büros, Fabriken – oder eben Warenhäuser – nur einen vergleichsweise kleinen Anteil aus. Gab es 1960 etwa 1.200 Warenhäuser, wurden sie seither von Shoppingcentern oder Fachmärkten abgelöst. „2010 sind so nur rund 200 Warenhäuser übriggeblieben, von denen 172 von der Signa-Group aufgekauft wurden“, erinnerte das Mitglied vom Netzwerk Steuergerechtigkeit an das mittlerweile insolvente Imperium von René Benko, Wegen der Pleite sollen davon nun 72 weitere geschlossen werden.

Formen der Nachnutzung

In den vergangenen 10 Jahren seien 50 Kaufhäuser pleite gegangen, blickte er zurück. 80 Prozent wurden entweder komplett abgerissen oder aufwendig umgebaut – zwei Strategien, die enorm viel Geld kosteten. Bei der Nachnutzung von Warenhäusern ginge die Bandbreite von der Sparkasse Südholstein über private Projektentwickler bis zur R&V-Versicherung oder der Kirche. Auch hätten die Städte Stuttgart und Hanau je eine Karstadt-Filiale aufgekauft. Im „Jupiter“ im Hamburg gäbe es momentan eine kreative Zwischennutzung aus den Bereichen Kunst, Musik, Design und Performances auf sechs Etagen. „Das ist nur möglich, weil die R&V-Versicherung als Eigentümerin auf die Mietkosten von jährlich sechs Millionen Euro verzichtet“, erläuterte Trautvetter. Dies werde sich ändern, wenn der Konzern mit der Immobilie Geld verdienen wolle.

Mietkosten sind unerreichbar

„Der Abriss eines leerstehenden Einkaufszentrums ist weder wirtschaftlich noch ökologisch, denn die Ressourcen sind nunmal nicht unendlich“, hielt Manuel Ehlers von der Triodos Bank fest. Auch sei das CO2-Volumen der Bau- und Immobilienbranche gemäß dem Pariser Klimazielen von 2015 auch schon längst aufgebraucht. Deswegen sei die Nachnutzung – ganz im Gegensatz zum kompletten Neubau – eines Gebäudes geradezu alternativlos. „Ein Neubau würde eine Quadratmeter-Miete von weit über 30 Euro nötig machen“, erläuterte der Wirtschaftsingenieur. Diese Rendite-Fantasien seien jedoch nicht mehr zu befriedigen.

Gemeinwohlorientierung möglich

Deshalb wurden einige leere Bauten Künstler*innen-Kollektiven zur Verfügung gestellt und mittlerweile in deren Selbstverwaltung überführt, wobei nur eine einstellige Miete für den Quadratmeter verlangt werde. „In diesen Bereichen kann man auch über eine gemeinwohlorientierte Nutzung reden – auch wenn die Bank dann nicht die volle Höhe ihres Kredites zurückbekommt“, skizzierte Ehlers mögliche Schritte.

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