
Arbeitslose als Feindbild, um sich selbst als Vorkämpfer für die Rechte der „hart arbeitenden Bevölkerung“ zu stilisieren – das ist laut Ulrich Schneider eine wahlpolitische Taktik, um die Gesellschaft zu spalten und den Weg für Sozialkürzungen zu ebnen. Die Veranstaltung „Geld fürs Nichtstun? Mythen und Fakten zum Bürgergeld“ fand bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt.
Armut und Niedriglohnsektor
„Unsere Armut ist gewollt“, hält Ulrich Schneider fest. So solle der Gesellschaft suggeriert werden, dass Arme nichts leisteten, während sich Reiche alles selbst hart erarbeitet hätten. „Dass die Hälfte der Vermögen in Deutschland vererbt werden, spielt da keine Rolle“, wies er auf die Einseitigkeit der neoliberalen Behauptung hin. Je geringer das Bürgergeld sei, desto schwächer sei auch die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften im Niedriglohnsektor, um gute Tarifabschlüsse zu erzielen. „Würde der Regelsatz auf von den aktuellen 563 Euro auf die geforderten 813 Euro steigen, hätte das die Anhebung des Mindestlohns und künftiger Tarifabschlüsse zur Folge“, führte er aus.
Nach unten treten
Viele arme Menschen hätten das Gefühl, nicht zur Gesellschaft dazuzugehören, weil ihnen das Geld fehlt. „Um dem gesellschaftlichen Druck standzuhalten, sehen sie sich selbst als Leistungsträger*innen, die nur kurz aus der Spur gefallen sind“, sprach der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes eine Bewältigungsstrategie an. So verfingen Erzählungen von den faulen Bürgergeldempfänger*innen, die nicht arbeiten wollten und sich stattdessen in die soziale Hängematte legten. „Es wird mit den Ängsten der Menschen gespielt“, kritisierte Schneider diese gesellschaftliche Spaltung.
Arbeitslose als „Parasiten“
Doch gäbe es diese Diskriminierung arbeitsloser Menschen schon seit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seiner Agenda 2010. „Der Sachverständigenrat wollte mit dem Wegfall der Zumutbarkeitsregelung einen Niedriglohnsektor im ganz großen Stil schaffen“, nannte er eine Folge der Harz-IV-Reformen. Doch um in der Gesellschaft eine Akzeptanz für die Sozialkürzungen beim Arbeitslosengeld I zu schaffen, musste man signalisieren, dass Arbeitslose unsere solidarische Hilfe nicht verdient hätten. „Schröders Satz: ,Es gibt kein Recht auf Faulheit!‘ ist symptomatisch“, erklärte Schneider die Strategie. Der Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement verglich Arbeitslose etwa mit „Parasiten“.
Regelsätze unter Existenzminimum
Auch, als das Bundesverfassungsgericht 2010 die damaligen Regelsätze überprüfte, ob sie nicht viel zu niedrig seien, kam es zu einer Kampagne, in der die Steuerzahler*innen gegen Arbeitslose ausgespielt wurden. „Außenminister Guido Westerwelle von der FDP sah in den Regelsätzen ein Anzeichen von ,spätrömischer Dekadenz‘“, rief Schneider in Erinnerung. Und als Karlsruhe tatsächlich die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze feststellte, wurden diese lediglich um 5 Euro im Monat angehoben sowie Gutscheine statt Geldleistungen eingeführt.
Politiker*innen schaffen Feindbilder
Mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 wolle man nun aus wahltaktischen Gründen das Lieblingsprojekt der SPD kaputt machen, weswegen die CDU ein ungeheures Kesseltreiben auf arbeitslose Menschen orchestriere. „Damit will man von den wahren Problemen in Deutschland ablenken – da helfen Arbeitslose genauso gut wie Geflüchtete“, fasste er die Taktik der Konservativen zusammen. So seien am herrschenden Wohnungsmangel und den fehlenden Kita-Plätzen nicht etwa die regierenden Politiker*innen schuld, sondern geflüchtete Menschen. „Es werden Feindbilder gegenüber verletzlichen Gruppen geschaffen, um sich in Wahlkampfzeiten scheinbar mit der Mehrheit der Wähler*innen zu solidarisieren“, benannte Schneider das taktische Kalkül.
Steuerflucht und Parteispenden
So stelle man das „enorm hohe“ Bürgergeld in den Fokus, das lediglich 7 Prozent des Bundeshaushalts ausmache. „Wie viele Milliarden Euro dem Staat durch Steuerhinterziehung von Milliardär*innen verlorengeht, fragt niemand“, gab Schneider zu bedenken. Denn im Gegensatz zu Arbeitslosen und Geflüchteten machten diese großzügige Parteispenden. Seine Forderung, um Armut zu überwinden lautete: Geld. „Bildung ist für die Prävention, nicht aber bei der Abschaffung von Armut wichtig“, differenzierte er. So könne in einer Familie, die von Existenzängsten geplagt werde und nicht wisse, wie sie am Ende des Monats über die Runden kommen solle, ein Lateinbuch für das Kind nur bedingt helfen.
Das Geld wäre da…
„Es braucht Geld, um Sicherheit und Perspektiven zu schaffen“, forderte er. Bei den momentanen Regelsätzen von 563 Euro für Alleinstehende und zwischen 350 und 450 Euro für Kinder sei dies nicht möglich. „Für Babys sind im Monat 12 Euro für Windeln vorgesehen, ein Jugendlicher soll 5 Euro am Tag für Ernährung bekommen“, rechnete er vor. Ein gerechter Regelsatz von 813 Euro bedeute einen Anstieg um 40 Prozent und koste rund 20 Milliarden Euro im Jahr. Das sei übrigens auch der Betrag, auf den bei der Steuervergünstigung beim Einkommen verzichtet wurde, mahnte Schneider an. Stattdessen subventionierte man nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Ölkonzerne von Juni bis August 2022 mit einem Tankrabatt von 5 Milliarden Euro.
Weiterführende Links:
- RLS (11.2.2025): Geld fürs Nichtstun? Mythen und Fakten zum Bürgergeld – https://www.youtube.com/watch?v=oZqoxlS3HVw
- Die Linke SC-RH (29.4.2024): Armutszeugnis. Hetze beim Bürgergeld – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/politik/armutszeugnis-hetze-beim-buergergeld/
- Schneider, Ulrich (2024): Unsere soziale Hängematte – https://www.rosalux.de/publikation/id/52882/unsere-soziale-haengematte