Profit statt Tierwohl

01. September 2024  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Hausschweine in Kastenständen mit Fütterungsautomatik (Maqi, CC BY-SA 3.0).

Über die Kapitalisierung der Tierhaltung und ein betriebswirtschaftliches Verständnis von Legebatterien und Mastbetrieben referierte Veronika Settele bei der Stiftung Demokratie Saarland. Sie sprach über die Transformation landwirtschaftlicher Tierhaltung im 20. Jahrhundert.

Blut und faulende Tierkadaver

Im London der 1850er Jahre lebten in einem Keller oftmals eine Familie mit drei Kindern und fünf Schweine. Die Tiere rissen auf der Suche nach Nahrung mit ihren Rüsseln das Straßenpflaster auf und sorgten für viele Exkremente in der Stadt. „In Berlin floss das Blut in den Rinnsteinen und die Senkgruben waren gefüllt mit faulenden Tierkadavern“, schilderte die Historikerin Veronika Settele Berichte aus der Metropole. Der Grund: Bis 1881 besaß die Hauptstadt des Deutschen Reiches keinen öffentlichen Schlachthof, weswegen die Metzger ihre Arbeit im eigenen Viertel erledigen mussten.

Fleischkonsum als Lebensqualität

Zwischen 1851 und 1911 verdoppelte sich der Fleischkonsum in Deutschland auf 40 kg pro Person, so dass mit der Zeit die Verfügbarkeit von Fleisch als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wurde. So warb die SPD 1912 mit dem Slogan „Billiges Brot und billiges Fleisch“ für sich und wurde mit 34,8 Prozent die stärkste Partei im Reichstag. Als sich ab 1929 die Weltwirtschaftskrise mit Arbeitslosigkeit und Verelendung auch beim Fleischkonsum bemerkbar machte, plakatierte die NSDAP den Spruch „Nie wieder Kohlrüben“. „Der regelmäßige Fleischkonsum war zum Maßstab von Lebensqualität geworden“, bilanzierte die Forscherin.

Keine „leistungsunfähigen Fresser“

Walther Darré, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft organisierte dann mit SS-Chef Heinrich Himmler die deutsche Agrarpolitik neu. Nur Tiere, die bei gleicher Futtermenge mehr leisteten als andere, waren erwünscht. „Die Bäuer*innen sollten sich deshalb keine ,leistungsunfähigen Fresser‘ halten“, zitierte sie aus damaligen Vorgaben. 1937 wurde die sogenannte „Hofkarte“ eingeführt, bei der unter anderem Bodennutzung, Viehbestand oder Marktleistung aufgelistet und somit ein reichsweiter Vergleich der einzelnen Höfe ermöglicht wurde.

Kuh und künstliche Berfruchtung

Seit den 50er Jahren kam es schließlich zu einer medizinisch-biologischen Steuerung der Tierkörper, massiven Kostenrechnungen sowie neuen Techniken bei Versorgung und Unterbringung der Tiere. So sollten etwa fruchtbarkeitsfördernde Medikamente bei Milchkühen deren Reproduktion optimieren. „Wird eine Kuh nicht rechtzeitig besamt, sinkt deren Milchmenge“, erläuterte Settele den betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Die künstliche Befruchtung ermöglichte es schließlich, dass erwünschte Eigenschaften an Tiere auf mehren Kontinenten weitergegeben werden konnten.

Optimierte Fortpflanzung

„Der Stier ,Pabst Ideal‘ wurde somit Vater über 100.000 Nachkommen“, beschrieb sie die Dimensionen. 1967 wurden mehr als die Hälfte aller westdeutschen Rinder künstlich besamt, 1980 waren es laut DDR-Statistik im Osten 99,7 Prozent. Auch ging man daran, die Milchmenge und deren Fettgehalt ganzer Kuhgenerationen auszuwerten, um diese Ergebnisse als elektronische Daten in künftige Besamungsentscheidungen einfließen zu lassen.

Lebenslang im Käfig

Solch ein Kosten-Nutzen-Denken schlug sich auch in der Hühnerhaltung nieder. Denn durch ein gleichbleibendes Licht- und Temperaturprogramm im Stall sorgte man über alle vier Jahreszeiten hinweg für eine kontinuierliche Eierproduktion. „Mittels zugekauftem Futter konnten die Tiere das ganze Jahr im Stall gehalten werden“, skizzierte Settele das Leben der Legehennen. Beide Faktoren führten zu einer Steigerung der Effizienz. Lebten bei Bodenhaltung bis zu 1.000 Tiere zusammen in einem Gehege, konnte in den Käfigen bei dreidimensionaler Batterie-Haltung die Zahl verzwanzigfacht werden.

Spaltboden und Gülleseen

In Schweineställen führte der Spaltboden dazu, dass die Tiere nicht mehr in ihren eigenen Exkrementen standen. Eine automatisierte Fütterung ließ wenig Personal mehr Schweine versorgen. „Ventilatoren verteilten die Ammoniak- und Schwefelwasserstoffkonzentration der Ausscheidungen“, wies sie auf den Nachteil des Spaltboden-Systems hin. 1963 billigten die Konstrukteure einem Schwein 0,5 m² Platz zu. „1978 verfügte der Schweinemastbetrieb in Schöndorf/Thüringen über 180.000 Tiere“, nannte Settele eine Größenordnung im sozialistischen Bauernstaat. Die anfallende Güllemenge war vergleichbar mit dem Abwasservolumen einer Großstadt wie Leipzig. Fast das gesamte Fleisch wurden als Devisenbeschaffung in den Westen verkauft.

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