
Die Gefahren, die durch die Einflussnahme von Milliardär*innen auf unser demokratisches System ausgehen und das Messen mit zweierlei Maß bei Bürgergeld-Empfänger*innen und Firmen-Erb*innen war Thema beim Gespräch „Reiche Menschen bekommen viel vom Staat“. Dabei sprach Martin Schürz im Deutschlandfunk-Format „Zwischentöne“.
Profit oder Lebensglück?
Der Amazon-Gründer Jeff Bezos verfügt über ein Vermögen von 237 Milliarden Dollar, Elon Musk hat mehr als 450 Milliarden. „Ist der Sinn des Lebens, immer mehr Geld zu haben?“, fragt Martin Schürz. Im Kapitalismus stehe nur die Profitrate durch Lohnarbeit im Zentrum. Die Frage „Wie will ich gut leben“ spiele dabei keine Rolle. Wenn man jedoch die persönliche Lebenszufriedenheit in den Fokus rücken wolle, müsse man die Systemfrage stellen, führte der Vermögensforscher aus. So sei es an der Politik, entweder auf Massensteuern zu setzen oder mit Vermögens- und Erbschaftsteuer eine kleine Gruppe von Reichen in den Blick zu nehmen. Letztere Methode sei jedoch vor allem bei sehr reichen Menschen unbeliebt.
Reichtum zerstört Demokratie
„Die Vermögenskonzentration ist sehr stabil – und dass soll aus Sicht der Reichen auch so bleiben“, sprach der Volkswirt von seinen Forschungen. Er wolle damit zeigen, wie Milliardär*innen die Demokratie unterminierten, indem sie die Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik beeinflussten. „Überreiche haben stets das Ohr der Politiker*innen und können ihre Interessen direkt anbringen“, erläuterte er. So werde vor der Wahl zwar immer von Vermögenssteuern gesprochen, nach Amtsantritt geschähe aber nichts. Dabei sei es aus ökonomischer Sicht viel besser, Vermögen zu besteuern anstatt Arbeit.
Leistungsloses Erben
„Bei Reichtum denken die meisten Menschen an Einkommen und nicht an Vermögen – und wenn, sind sie oft von dieser Menge fasziniert“, erläuterte Schürz. Der Erzählung vom angeblichen innovativen Erfindungsgeist der Überreichen müsste man stets mit der Leistung anderer, etwa alleinerziehender Mütter vergleichen. Diese leisteten nämlich ungleich mehr, erhielten jedoch in keiner Weise ein angemessenes Einkommen dafür. 30 Prozent des Vermögens bestehen aus Erbschaften. „Da verliert die persönliche Leistung an Bedeutung“, erklärte er. Denn das Erbe sei den Personen als leistungsloses Vermögen einfach so zugefallen. Und zitiert den Präsidenten des Jakobinerclubs, Marquis de Mirabeau, der während der Französischen Revolution forderte, dass das Vermögen mit den Sterbenden zugrunde gehen müsste.
Natur ist „Luxus“
Schürz selbst wurde 1964 in eine proletarische Wiener Familie geboren. „Wir lebten in einer beengenden Erdgeschoss-Wohnung, so dass ich nie den Himmel sah“, erinnerte er sich an seine Kindheit. Die Kränkungen und Demütigungen ärmerer Menschen habe er hautnah erfahren. Mit 14 Jahren trug er morgens vor der Schule die Arbeiter-Zeitung aus, um Geld zu verdienen. „Unser Blick war auf das Einkommen gerichtet, so etwas wie Grundbesitz, Immobilien oder Aktien gab es in unserer Lebenswelt nicht“, schilderte er das Aufwachsen im Arbeiter*innen-Milieu. Da sein Vater jedoch ehrenamtlich bei der Bergwacht aktiv war, ging es für die Familie fast jedes Wochenende ins Gebirge. „Diese Freizeit war Luxus für mich“, hielt der 60-Jährige fest.
Diktatur und Neoliberalismus
Für seine Doktorarbeit ging er 1990 nach Chile. Kurz zuvor war der langjährige Machthaber Augusto Pinochet durch einen Volksentscheid abgewählt worden. 1973 hatte der General mit dem Militär gegen den Präsidenten Salvador Allende geputscht und eine Militärdiktatur errichtet. Das Land wurde daraufhin zum Versuchslabor der Chicagoer Ökonomen, die von Friedrich August von Hayek beeinflusst waren. „Die Deregulierung des Arbeitsmarktes erfolgte durch Verhaftung und Folter von Gewerkschafter*innen“, schilderte er die Umsetzung der Wirtschaftspläne. Bei seinem Aufenthalt erlebte Schürz den Auftritt der chilenischen Gruppe Inti-Illimani und ihrem Lied „Pueblo Unido“ im Estado Nacional. „Das war die südamerikanische Variante der ,Internationalen‘“, beschrieb er die Bedeutung des Musikstücks. Die Band befand sich 1973 auf einer Europa-Tour und konnte erst nach dem Ende der Diktatur nach Chile zurückkehren. Und wählte den Platz ihres Konzertes bewusst – denn das Sportstadion hatte zu Zeiten Pinochets als berüchtigtes Gefangenenlager für Oppositionelle gedient.
Doppelmoral bei Armen und Reichen
Seit dem Aussetzen der Vermögenssteuer hat der Staat keinerlei Daten über die Vermögensverhältnisse von Überreichen, da ihr Reichtum als „Privatsache“ gelte. Bei Armen sei das anders. „Menschen, die Grundsicherung beziehen, müssen sämtliche Vermögensverhältnisse offenlegen“, verglich er die unterschiedliche Handhabung von Armut und Reichtum. Dabei hätten die Reichen sowohl in der Finanzkrise 2008 wie auch während der Corona-Pandemie große staatliche Subventionen erhalten. Dabei beruhe der Reichtum einer einzelnen Person immer auf den Leistungen der Gesellschaft – etwa der Beschäftigten oder der vom Staat bereitgestellten Infrastruktur.
Nach unten treten
„Wenn Leute kritisieren, dass es ein paar ungeheuer Reiche, aber gleichzeitig so viele Menschen gibt, die in Armut leben, wird gesagt, sie sollen nicht so neidisch sein“, sprach er ein beliebtes Narrativ an. Denn so könne die Frage einer gerechten Verteilung mit dem Neid-Argument erstickt werden. Stattdessen sollten sich die Armen gegen die noch Ärmeren, also Sozialleistung-Empfänger*innen und Flüchtlinge, wenden, laute das liberal-konservative Credo. „Schon Adam Smith hat beschrieben, wie wohlhabende Menschen von den ,normalen Leuten‘ bewundert wurden, die selbst jedoch die unter ihnen stehenden Gruppierungen verachteten“, zeigte Schürz die Historie dieser Spaltungstendenz am Beispiel des englischen Nationalökonoms aus dem 18. Jahrhundert auf.
Weiterführende Links:
- Deutschlandfunk (12.1.2025): Vermögensforscher Martin Schürz. Reiche Menschen bekommen viel vom Staat – https://www.deutschlandfunk.de/vermoegensforscher-martin-schuerz-reiche-menschen-bekommen-viel-vom-staat-dlf-5200d527-100.html
- Die Linke SC-RH (12.3.2024): 1973. Die CIA und der Putsch in Chile – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/geschichte/1973-die-cia-und-der-putsch-in-chile/
- Die Linke SC-RH (28.4.2022): Kinderarmut in Deutschland – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/politik/kinderarmut-in-deutschland/