Die unterschiedlichen Erwartungshaltungen, die von Arbeiter*innen und der Mittelklasse an die Partei „Die Linke“ herangetragen werden, beleuchtete die Veranstaltung „Linke Triggerpunkte. Haltungen und Klassenlage des linken Wählerpotenzials“, organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Akademisch und links
Für Carsten Braband ergibt die Auswertung der „German Labour Election Study“ ein klares Bild. „Die Linke hat die Arbeiter*innen verloren, aber bei beruflich Höherqualifizierten hinzugewonnen“, erläutert der Sozialwissenschaftler. Bis 2013 wurde die Partei überdurchschnittlich von produktiven Arbeiter*innen (Handwerk, Industrie), 2017 kam es hier zu einem starken Rückgang. Ähnlich auch die Ergebnisse im Dienstleistungsbereich, etwa in der Altenpflege oder im Einzelhandel. Zuwächse gab es seit 2017 jedoch in allen Gruppierungen der Mittelklasse. „Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und Ingenieur*innen“, zählte er einige Berufsfelder auf. Auch bei Sozialarbeiter*innen oder Krankenpfleger*innen erhielte die Partei viele Stimmen. „Seit 2014 sind die Wähler*innen der Linken mit Abitur oder Hochschulabschluss überdurchschnittlich akademisch geprägt“, stellte er fest.
Sozialprogramm kommt an
Fast 1.200 potenzielle Wähler*innen wurden im Juni 2024, also nach der Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), zu ihrer Einstellung in den Themenfeldern Sozial-, Migrations-, Klima- und Außenpolitik befragt. „In allen Bereichen herrschte große Einigkeit, auch wenn es bei einigen Meinungsunterschiede gab“, hielt Braband fest. So befürworteten die Befragten in der Sozialpolitik vor allem die linken Forderungen nach einer Mietenregulierung und einem höheren Mindestlohn. Auch höhere Steuern für Reiche wurden positiv hervorgehoben. Bei der Migrationspolitik unterstützten viele eine schnelle Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt und sprachen sich für Fachkräftezuwanderung aus.
Klimakosten für Arme?
Klimapolitisch sei die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft ebenso Thema wie die Bekämpfung des Klimawandels. „In der Außenpolitik werden tendenziell stärkere diplomatische Bemühungen gefordert“, sprach der Wissenschaftler die Waffenlieferungen an die Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg an. Als negativ wurden hingegen die Abschiebestopps und eine uneingeschränkte Einwanderung aus wirtschaftlicher Not heraus gesehen. Auch das Gebäude-Energiegesetz, höhere individuelle CO2-Preise und somit die höhere finanzielle Belastung der Einzelnen führte zu Kritik. „Die Stimmen, die eine Abrüstung der Bundeswehr forderten, waren bei den Befragten in der Minderheit“, beschrieb Braband die Kontroverse um das 100 Milliarden-Sondervermögen und den steigenden Verteidigungshaushalt.
Viele gegensätzliche Erwartungen
Bei den möglichen Wähler*innen herrschten hingegen geteilte Meinungen zur Erhöhung des Bürgergelds, einer erleichterten Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylsuchenden sowie der Oppositionshaltung zu Waffenlieferungen. „Bei der Migrations- und Rüstungspolitik sollte die Linke eine weniger verlustbehaftete Sprache entwickeln“, riet er mit Blick auf die angegebenen Kritikpunkte wahlbereiter Menschen. Zugleich offenbare sich hier auch ein nicht aufzulösendes Dilemma. „Sympathisant*innen von BSW kritisieren die linke Migrations- und Umweltpolitik“, sprach der Forscher eine potenzielle Zielgruppe an. Für SPD-Anhänger*innen sei die Wahlentscheidung von der Migrations- und Rüstungspolitik geprägt. Bei „Grünen“ hingegen gäbe es Hemmnisse wegen der Außenpolitik. „Es braucht eine Zielgruppenentscheidung“, fasste Braband die sich widersprechenden Erwartungshaltungen zusammen.
Sozial nur national?
Würden gewisse normative Grunderwartungen – sogenannte „Triggerpunkte“ – angesprochen, werde ein politischer Meinungsaustausch schnell emotional. „Die Anpassung geflüchteter Menschen an die deutsche Kultur hat erstaunlich hohe Zustimmungswerte“, gab er die Befragung im Arbeiter*innenmilieu wider. Seien potenzielle Wähler*innen zwar für soziale Umverteilung, stünden sie gleichen Rechten für Flüchtlinge kritisch gegenüber. „Dem steht die linke Forderung nach kultureller Vielfalt entgegen“, wies Braband auf das Spannungsverhältnis hin. Seiner Einschätzung nach sollte die Partei geflüchtete Menschen als Teil der Arbeitsgesellschaft, nicht in ihrer Rolle als Migrant*innen, in den Vordergrund stellen.
Kritik an Armut ansprechen
So könne man sich auch von Wagenknecht abgrenzen, die Migration in Gänze als Gefahr für die soziale Sicherheit darstelle und einen radikalen Rückgang der Zahlen fordere. „Die Linke ist die Gruppierung im Bundestag mit der migrationspolitisch progressivsten Wähler*innenschaft“, wies er auf ein Alleinstellungsmerkmal hin. Doch damit erreiche man einen großen Teil der Arbeiter*innen nicht. „Die mangelnde Anerkennung der hart arbeitenden Menschen und die herrschende Prekarität sollte hervorgehoben werden“, gab der Wissenschaftler einen zielgruppenorientierten Ratschlag.
Weiterführende Links:
- RLS (8.10.2024): Linke Triggerpunkte. Haltungen und Klassenlage des linken Wählerpotenzials – https://www.youtube.com/watch?v=P7YJveY2T34
- Die Linke SC-RH (3.4.2024): Hat die Linke die Arbeiter*innen verloren? – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/politik/hat-die-linke-die-arbeiterinnen-verloren/
- Die Linke SC-RH (13.5.2024): Asylpolitik und Menschenrechte – https://www.die-linke-schwabach-roth.de/europa/asylpolitik-und-menschenrechte/