Fritz Naphtali: Wirtschaftsdemokratie

22. Dezember 2024  Wirtschaft
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung, bearbeitet

Eine umfassende Mitsprache in den Betrieben kann zur Vollendung der politischen Demokratie hin zu einer Wirtschaftsdemokratie und somit zum Sozialismus führen. Diesen reformistischen Ansatz beschreibt Fritz Naphtali in seinem Buch „Wirtschaftsdemokratie“. Die 44. Folge des Theorie-Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigte sich mit dem späteren israelischen Wohlfahrtsminister.

Publizist des Gewerkschaftsbundes

Fritz Naphtali wurde 1888 in Berlin in eine jüdische Familie geboren. Er studierte Ökonomie und arbeitete als Exportkaufmann. 1911 trat er in die SPD ein, schrieb bis 1926 für die Frankfurter Zeitung und war von 1927 bis 1933 für die Forschungsstelle Wirtschaftspolitik des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes tätig. In dieser Zeit erschien auch sein Buch „Wirtschaftsdemokratie“. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen emigrierte er nach Palästina.

Minister für Mitbestimmung

1937 wurde er in den Stadtrat von Tel Aviv gewählt, 1941 Mitglied des Abgeordnetentags in Palästina. Von 1938 bis 1949 leitete Naphtali die Arbeiter*innen-Bank des Gewerkschaftsverbandes, saß dann 10 Jahre in der Knesset und war Wirtschaftsberater des Ministerpräsidenten. In der Folgezeit hatte er verschiedene Ministerposten inne. Dabei waren ihm Mitbestimmung der Arbeiter*innen, landwirtschaftliche Gemeinschaftssiedlungen und die Förderung von Gewerkschaftsunternehmen ein Anliegen. Er starb 1961 in Tel Aviv.

Die unfertige Demokratie

Wirtschaftsdemokratie wurde in Großbritannien schon in den 1890er Jahren unter dem Begriff „Industrial Democracy“ diskutiert. Um die Jahrhundertwende forderte Carl Legien den Absolutismus im Fabrikbetrieb durch eine demokratisch-sozialistische Organisation der Betriebsstätten zu beseitigen. Naphtalis Buch reagiert darüber hinaus auch auf das Scheitern der Rätebewegung in der Sowjetunion. Er analysierte, dass sich demokratische Regierungsformen nur auf freie Wahlen beschränkten, während man das Wirtschaftssystem außen vor lasse. So blieben die Menschen aus sozialer Sicht weiterhin unfrei. Denn das Bürger*innentum verhinderte die öffentlich-rechtliche Regelung des Wirtschaftslebens.

Despotie der Vermögenden

Naphtalis Warnung: Ohne eine echte Teilhabe der Arbeiter*innenklasse an den ökonomischen Verhältnissen könne auch die politische Demokratie nicht gelingen. Denn letztendlich werde die Gesamtordnung der Gesellschaft nur von wenigen Kapitaleigentümer*innen festgelegt. Doch wenn deren Privatinteressen die ausschlaggebende Größe seien, führe dies unweigerlich zu Despotie. Hoffnung setzte Naphtali in die Vergesellschaftungsdynamiken des Kapitals, die zu einer Monopolbildung vergesellschafteter Betriebe führen sollten. Denn ändere sich der Kapitalismus, könne er auch von den Arbeiter*innen verändert werden.

Planwirtschaft gegen Konflikte

Gewerkschaften, Arbeitszeitregelungen und Tarifverträge könnten somit den Zustand der Sklaverei überwinden. In der Wirtschaftsdemokratie, die schließlich zum Sozialismus führe, müssten gemeinwirtschaftliche Gesichtspunkte bestimmend sein. Alle Akteur*innen sollten gemeinsam die umfassenden Ziele der Unternehmen – und so die gesamtwirtschaftliche Entwicklung – mitbestimmen. Doch sei eine ständige Diskussion, was denn das Allgemeinwohl sei, vonnöten. So könnten sich Konflikte zwischen den Löhnen der Werktätigen und den Preisen für Kund*innen ergeben. Dies – wie auch Schwankungen von Angebot und Nachfrage – sollten durch eine planmäßige Wirtschaftsführung geregelt werden.

Gewerkschaft als Gegenmacht

Der Staat sichert durch Eingriffe in die Wirtschaft, also mittels Gesetze, das Allgemeinwohl. Zugleich greifen aber auch die Kapitaleigentümer*innen in die staatlichen Entscheidungsprozesse ein. Um dem eine Gegenmacht entgegenzustellen, brauche es starke Belegschaften in den Betrieben, um mit der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter*innen auch die Sichtweise der Beschäftigten – nicht nur die der Chefs – abzubilden. Naphtali plädiert für gesellschaftliche Eigenbetriebe im Wohnungsbau und für Konsumgenossenschaften. Letztere könnten ihre konkreten Bedarfe planen, ohne jedoch Gewinne erwirtschaften zu müssen.

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