Polanyi: Wirtschaftskrise und Faschismus

11. Juni 2025  Wirtschaft
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Der Zusammenhang von Wirtschaftskrise und Faschismus ist bei Karl Polanyi zentral. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung widmete dem österreichischen Wirtschaftshistoriker nun eine Folge ihres Theorie-Podcasts.

Flucht vor Austrofaschismus

Karl Polanyi wurde 1886 in eine jüdische Familie in Wien geboren, die jedoch bald nach Budapest umzog, wo der Vater als Bahn-Ingenieur arbeitete. Polanyi selbst ging im ungarischen Teilreich der k.u.k-Monarchie zur Schule und gründete während des Studiums den Bildungsverein „Galileo“ für Arbeiterjugendliche, der bald über 2.000 Mitglieder hatte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zog er 1919 zurück nach Wien, wo er für die Zeitung „Der österreichische Volkswirt“ schrieb. Hier lernte er auch seine – aus Ungarn stammende – Frau kennen. Nachdem Engelbert Dollfuß das Parlament ausgeschaltet und den Austrofaschismus in Österreich etabliert hatte, floh der Wirtschaftshistoriker 1934 nach Großbritannien.

Die McCarthy-Ära

1940 erhielt er ein Visum für die Vereinigten Staaten, wo er 1944 das Buch „The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen“ veröffentlichte. 1947 erhielt er eine Gastprofessur an der Columbia Universität. Da seine Frau Ilona Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Ungarns gewesen war und sich auch an der Ungarischen Revolution unter Béla Kun beteiligte, wurde ihr in der McCarthy-Ära kein Visum für die Vereinigten Staaten ausgestellt. Beide zogen deshalb nach Kanada, wo er 1964 starb.

Fürsorge und Lohndumping

Polanyi beschreibt in seinem Werk, das eine Zeitspanne von rund 150 Jahren umfasst, drei große wirtschaftliche Veränderungen. Ausgangspunkt ist für ihn Großbritannien um 1800, in dem aufgrund des wirtschaftlichen Elends der Landbevölkerung mit dem Speenhamland-Gesetz im ganzen Land kommunale Arbeitshäuser eingerichtet werden. Dort erhalten Kranke, Behinderte oder Arbeitslose eine staatliche Sozialunterstützung. Als Reaktion darauf senkten Unternehmer jedoch ihre Löhne, um kostengünstig vom Staat subventionierte Menschen aus den Armenhäusern zu beschäftigen.

Die marktradikale Gesellschaft

In den 1830er Jahren wird die kommunale Residenzpflicht in den Arbeitshäusern aufgehoben und die Marktliberalen sorgen mit der Abschaffung von Arbeitsschutzgesetzen und Streikrecht für einen Übergang in die marktradikale Gesellschaft. Dem steht jedoch staatliches Handeln gegenüber, da die Regierung nun ihrerseits mit der Idee eines ausgeglichenen Haushalts oder protektionistischen Maßnahmen in den Markt eingreift. Mit dem Ersten Weltkrieg gerät die Marktwirtschaft in eine Krise, die zu einer ersten Phase faschistischer Bewegungen in Europa, so etwa in Italien, führt.

Aufstieg des Faschismus

Die zweite Transformation setzt Polanyi zufolge mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 ein, aus der in Deutschland der Nationalsozialismus und in Österreich der Austrofaschismus hervorgehen. Der Kapitalismus des 19. Jahrhunderts ist in eine Sackgasse geraten und mit ihm werden Werte wie Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit oder Frieden gleich mit abgewickelt. Beispielhaft hierfür ist die Aufkündigung kapitalistischer Regeln durch Adolf Hitler, der die Auslandsschulden des Deutschen Reichs nicht mehr begleicht, sondern mit dem geliehenen Geld eine exorbitante Aufrüstung vorantreibt. Ebenso stellt er – auf die Macht des Militärs gestützt – international geltende Grenzen infrage.

Der demokratische Sozialismus

Die Ursache für die Krise des Kapitalismus liegt Polanyi zufolge darin begründet, dass im Marktprozess „Boden“, „Arbeit“ und „Geld“ wie Waren gehandelt werden, obwohl sie gar nicht wie herkömmliche Güter produziert werden können. Wird diese „fiktive Ware“ trotzdem wie hergestellte Güter – etwa Möbel oder Maschinen – gehandelt, zerstört man die Marktwirtschaft und es kommt zu einer Krise. „Will man heute den Boden aus der Marktwirtschaft herausnehmen, bräuchte es neue Eigentumsformen“, überträgt der Wirtschaftsprofessor Claus Thomasberger Polanyis Gedanken in die Gegenwart. Denn alleine mit privatem Wohnungsbau werde man die Wohnungskrise nicht bewältigen können. Im Bereich des Geldes würde dies zur Entmachtung privater Banken führen. „Es braucht neue Ideen solidarischer Arbeit“, folgert er für eine dritte Transformation, die einen demokratischen Sozialismus zum Ziel hätte.

Weiterführende Links:

« zurück