Vernichtungskrieg in Bildern

29. April 2021  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

„Raising a flag over the Reichstag“ von Ewgenij Chaldej (Quelle: Wikipedia/Mil.ru, CC-BY 4.0)

Das Memorium Nürnberger Prozesse widmete mit „Krieg und Frieden“ einem der berühmtesten Fotografen des 20. Jahrhunderts eine Ausstellung. Der sowjetische Kriegsberichterstatter Ewgenij Chaldej habe die Zeitspanne von dem Überfall auf die Sowjetunion bis zu den Nürnberger Prozessen so eindrücklich festgehalten wie kaum ein anderer, lautete die Expertise.

Die Vernichtung im Osten

„Diesen Anblick wirst du nie vergessen“, sagte der 1917 geborene Chaldej über seine Bilder, die den Vormarsch der deutschen Wehrmacht gen Osten dokumentierten. Er sah es als seine Aufgabe an, das unsagbare Grauen und Leid des Zweiten Weltkrieges festzuhalten und mit Hilfe seiner Kamera Geschichten von Menschen und Orten zu erzählen. Damit setzte er einen Gegenpol zur westlich geprägten Erinnerungskultur, die den Krieg meist aus US-amerikanischer Perspektive beleuchtet. Dass der Vernichtungskrieg im Osten jedoch auch 27 Millionen Sowjetbürger das Leben kostete, versuchte Chaldej der Weltöffentlichkeit zu verdeutlichen.

Kampf am Polarkreis

Die Ausstellung im „Cube 600“, einer ehemaligen Autowerkstatt auf einem Panzerparkplatz der US-Truppen in Nürnberg, ist dreigeteilt. 30 ausgewählte Fotografien schlagen einen Bogen vom Überfall der Deutschen hin zur Befreiung durch die Rote Armee und schließlich zu den Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozessen. In zwei Bildern hält Chaldej 1941 den Kampf um die am Polarkreis gelegene Hafenstadt Murmansk fest. Die Fotomontage „Rentier Jascha“ zeige mit Granatsplittern und einer Staffel Hawker Hurricanes der British Air Force am Himmel die militärische Seite des Krieges, während das den Rotarmisten zugelaufene Rentier im Vordergrund die friedliche Natur verkörpere. Das zweite Bild zeigt die Folgen des Krieges. In einer vereisten Landschaft steht eine alte Frau vor der Ruinenlandschaft von Murmansk. Der persönlichen Beziehung zu den von ihm abgebildeten Personen ist Chaldej auch nach dem Krieg treu geblieben. So ist nach 1945 eine jahrzehntelange Briefkorrespondenz zwischen dem Fotografen und den Porträtierten belegt.

Sonnen nach dem Krieg

Die Freude über die Befreiung durch die Rote Armee ist auf dem Bild „Das Leben geht weiter“ (Sewastopol, 1944) zu sehen. Die Erleichterung und das Glück der Menschen auf der Krim, den Krieg überstanden zu haben, ist ihnen anzusehen. Die Fotografie zeigt mehrere Frauen, die sich zwischen den Ruinen ihrer Heimatstadt sonnen und am Schwarzmeer-Strand baden gehen.

Retuschierung am Reichstag

Das Bild, das Chaldej weltberühmt machte, war die „Hissung der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag“ im Mai 1945 in Berlin. Es schmerzte den Fotografen jedoch sehr, dass er auf Druck der stalinistischen Zensur sein eigenes Werk verändern musste. In der Originalaufnahme trägt einer der beiden Soldaten zwei Armbanduhren. Nach offizieller Beanstandung und Retuschierung durch Chaldej höchstpersönlich war auf dem nun weltweit verbreiteten Bild nur noch eine Uhr zu sehen.

Sieg des Rechts über den NS-Terror

Den Bilderzyklus zu den Nürnberger Prozessen eröffnet ein Bild des zerstörten Nürnbergs. Darauf sieht man die Frauenkirche und den Hauptmarkt sowie über ein Trümmerfeld die Fleischbrücke an der Pegnitz. „Durch den Schlag dieses Hammers wurde der Nürnberger Prozess gestartet“ kommentiert der Bildreporter ein weiteres Foto, auf dem der Schreibtisch des sowjetischen Richters samt Prozessdokumenten und Kopfhörer zu sehen sind. Die Simultanübersetzung während des Prozesses in Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch stellte einen Meilenstein in der internationalen Strafgerichtsbarkeit dar. Das letzte Bild stammt von einem Kollegen Chaldejs und zeigt ihn selbst mit Offiziersuniform und Kamera im Schwurgerichtssaal 600. Neben ihm sitzt der Angeklagte Hermann Göring, der versucht, sein Gesicht zu verdeckten. Dieses Foto ist als Symbol des Sieges der Justiz über die nationalsozialistische Terrorherrschaft zu verstehen. Chaldej verlor einen Großteil seiner jüdischen Familie durch die Shoah. 1941/42 wurden sein Vater und seine drei Schwestern von den Deutschen ermordet.

Weiterführende Literatur

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