ManyPod #15/1: Ukrainische Geflüchtete: Welcome!

23. April 2022  Europa
Geschrieben von Kreisverband

ManyPod #15/1, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Antislawischer Rassismus gegenüber sog. „Russlanddeutschen“ nach 1989, gemeinsame Diaspora-Erfahrungen von Ukrainer*innen und Russ*innen sowie doppelte Standards bei der Flüchtlingspolitik waren Thema bei ManyPod. Der Podcast für die Gesellschaft der Vielen sprach mit jungen Menschen mit osteuropäischen Wurzeln.

Differenzierung wichtig

Die Aktivistin Svetlana Schmidt kam 1995 mit 8 Jahren nach Deutschland, da ihre Familie den „Wolgadeutschen“ angehörte. Das bisherige Zusammenleben in der russischsprachigen Community sah sie als harmonisch an. „Viele Russ*innen in Deutschland haben ukrainische Verwandte, die meisten Ukrainer*innen sprechen auch Russisch“, beschrieb sie das gelebte Miteinander in der Bundesrepublik. Ihre Befürchtung war jedoch, dass Menschen nicht zwischen den in Deutschland lebenden Russ*innen und dem von Putin befohlenen Angriffskrieg differenzieren könnten. Mit Andauern des Krieges könne es ebenfalls zu antislawischem Rassismus gegenüber geflüchteten Ukrainer*innen kommen. Sie selbst war in ihrer Jugend wegen ihres „Russischseins“ von deutschen Mitschülern körperlich angegriffen worden, berichtete sie von ihren Erfahrungen.

Rassismus statt Differenzierung

Die Illustratorin Kristina Fahrenbruch war als zweijähriges Kind nach Deutschland gekommen. 1780 waren ihre Vorfahren aus Sachsen zur Zeit Katharinas der Großen nach Russland gezogen. Unter Stalin wurde die Familie nach Kasachstan deportiert, in Deutschland galten ihre Angehörigen immer als „die Russen“. Nach Kriegsbeginn wurden ihre kasachischen Verwandten in einem bayerischen Restaurant des Lokals verwiesen, weil sie russisch gesprochen hatten. „Das verunsichert mich und macht mich traurig“, sagte sie. Ihre Tante, die 8 Jahre lang als Reinigungskraft bei einer wohlhabenden deutschen Familie gearbeitet hatte, durfte nach dem 24. Februar das Haus nicht mehr betreten, zählte sie ein weiteres Beispiel antislawischen Rassismus im Zuge des Krieges auf. Als Kind habe sie sich wegen der Beleidigungen und Attacken ihrer Mitschüler so sehr geschämt, dass sie beschloss, kein Russisch mehr zu sprechen, erzählte Fahrenbruch.

Milde nicht „verdienen“

Der ZEIT-Autor Dmitrji Kapitelman war als jüdischer Kontingentflüchtling von Kiew nach Sachsen gekommen, wo er als „Russenkind“ die rechtsextremen „Baseballschläger-Jahre“ nach der Wiedervereinigung erlebte. „Das nationale Lagerdenken vergiftet die gemeinsame Diaspora-Erfahrung von Ukrainer*innen und Russ*innen“, sagte er. So sei eine ukrainische Kassiererin, die in einem russischen Lokal arbeite, gefragt worden, auf welcher Seite sie stehe, zeigte er die Bruchlinien auf. „Jede Bombe, die fällt, zerstört auch Gemeinsamkeiten und Vertrauen in der russischsprachigen Community“, gab er seiner Sorge Ausdruck. Kapitelman kritisierte auch selektive Humanität Europas. „Afghanische Flüchtlinge erfrieren an der belarussischen Grenze, während in Polen gegenüber Ukrainer*innen eine politische Willkommenskultur gibt“. Gemäß dem Spruch „Milde muss nicht verdient sein“ sollten Regierungen jedoch auch Hilfen für muslimische und dunkelhäutige Flüchtlinge bereitstellen, forderte er.

Exkurs: Bayern

Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann sprach sich laut Nürnberger Nachrichten für einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen sowie eine stärkere europäische Rückführungspolitik aus. Er hatte die Zentrale der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Warschau besucht, die im ersten Quartal 2022 mehr als 40.000 illegale Übertritte an den europäischen Außengrenzen registrierte. Das sei eine Steigerung von 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und die höchste Zahl seit 2016. Unter anderem der Zustrom von Asylsuchenden über die sog. Mittelmeerrouten sei 2021 gestiegen und habe im ersten Quartal des Jahres 2022 weiter zugenommen, berichtete Hermann.

Weiterführende Links und Quellen:

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