Fußball-WM: Wie weit soll die Kommerzialisierung noch gehen?

28. November 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Ein Lieferkettengesetz auch für Fußballvereine und staatliche Regularien bei Spielertransfers in Millionenhöhe waren Forderungen bei der Diskussion „Die WM in Katar 2022: Wie weit soll die Kommerzialisierung des Fußballs denn noch gehen?“. Organisiert wurde der Vortrag von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Konsumverweigerung löst Problem nicht

„Die Verstrickung von Politik und Sport, wie sie bei der WM zutage tritt, muss aufgearbeitet werden“, forderte Sportjournalistin Nicole Selmer. Einen simplen Boykott der Fernseherübertragungen hält sie nicht für zielführend. „Wenn ich das Spiel nicht anschaue, ist das Problem für mich aus der Welt“, kritisierte sie solche vereinfachenden Sichtweisen. An diesem Punkt fange die Diskussion zur Verbesserung von Menschenrechten vielmehr gerade erst an. Denn gesamtgesellschaftliche Probleme ließen sich nicht durch individualisierte Konsumverweigerung beseitigen.

„Die FIFA muss zerschlagen werden“

„Saudi Arabien hat sich kürzlich für die WM 2030 beworben“, richtete sie den Blick in die Zukunft. Jetzt sei der Zeitpunkt, dagegen zu protestieren – nicht erst, wenn das Eröffnungsspiel in der wahhabitischen Monarchie bevorstehe. Aus ihrer Sicht müsse die FIFA zerschlagen und ihr das Monopol auf die WM-Vergabe entrissen werden. „Sonst ändert sich nicht“, sagte die stellvertretende Chefredakteurin des österreichische Fußballmagazins „ballesterer“.

Lieferkettengesetz für den Fußball

Für Wirtschaftsunternehmen sorge das Lieferkettengesetz – unter bestimmten Umständen – dafür, dass sie für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden könnten, erläuterte Rechtsanwältin Miriam Saage-Maß. „Das sollte auch für Fußballverbände eingeführt werden“, sagte die Juristin beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Eine Möglichkeit wäre, die Lizenz der FIFA an die Einhaltung von Menschenrechtsstandards gegenüber ihren Partnerorganisationen zu knüpfen. Doch Saage-Maß sieht die FIFA kritisch. „Kann sie überhaupt noch als gemeinnütziger Verein gelten?“, fragte sie.

Staat soll in Transfer-Markt eingreifen

Die WM-Vergabe nach Katar sei ein schwerer Fehler gewesen, bilanzierte André Hahn, sportpolitischer Sprecher der LINKEN. Weder die Menschenrechtslage noch die Nachhaltigkeit der Sportstätten spreche für den Wüstenstaat. „Sinnvoller wäre, auf jedem Kontinent eine Olympia-Stätte zu haben, als dass jede Stadt ihre eigene Sprungschanze oder Bobbahn baut“, regte er eine Regulierung der Baumaßnahmen an. Auch solle die Politik in den Transfer-Markt eingreifen. „Warum wird nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass große Vereine bei Ablösesummen von 200 Millionen Euro zwanzig Prozent dem Breitensport oder Frauenfußball zur Verfügung stellen müssen?“, fragte er.

Das Märchen von der moralischen FIFA

„Forderungen an die FIFA zu stellen, ist genauso, wie wenn ich mir was vom Weihnachtsmann wünsche“, brachte Rico Noack von Gesellschaftsspiele e. V. seine Resignation zum Ausdruck. Der Verein setzt sich für Bildungsangebote im Fußball ein und geht dabei etwa der Rolle der türkischen Fans bei den Gezi-Protesten 2013 nach. Das Entscheidende sei, ob auch nach Ende der WM die Frage der Menschenrechte in Katar weiter thematisiert werde, mahnte er.

Fernseher oder Klimarettung?

Den Vorrang kapitalistischer Interessen vor denen der Umwelt kritisierte auch Katharina Dahme, Vorstandsvorsitzende des SV Babelsberg 03. „Wenn man von der 4. in die 3. Liga aufsteigt, ist der Verein verpflichtet, eine Rasenheizung im Stadion zu installieren“, erklärte sie. Dies gewährleiste, dass auch bei Schneefall das Spiel pünktlich beginne und die Senderechte bei Übertragungen eingehalten würden. „Das ist ökologisch – und bei den aktuellen Energiepreisen auch ökonomisch – Wahnsinn“, wandte sie sich gegen die Vorgaben. Spiele könnten ohne großen Aufwand zu einem anderen Zeitpunkt nachgeholt werden. Doch der Anstoß im Fernseher sei wohl wichtiger als die Erderwärmung.

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