In Roth gedachte ein parteiübergreifendes Bündnis dem 76. Jahrestag der Befreiung vom Nazi-Regime. Die Verlesung aus der Briefkorrespondenz über Zwangsarbeiterinnen verdeutlichte die Skrupellosigkeit und menschenverachtende Grausamkeit, mit der der NS-Staat die Endlösung“ und seine Politik der „Vernichtung durch Arbeit“ vorantrieb, an der sich auch Unternehmen beteiligten. Familienmitglieder von Auschwitz-Häftlingen mahnten alle Anwesenden: Nie wieder Krieg, Ausgrenzung und Rechtsextremismus!
Breslau – Auschwitz – Erlangen
Klaus Klemenz, Bruder des ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Erlangen Karl-Heinz Klemenz, sprach über seine Großeltern. 1943 wurden Paul und Selma Klemenz aus Breslau deportiert. Paul Klemenz wurde Ende 1944 in der Gaskammer von Auschwitz ermordet. Sein zweiter Großvater, Otto Pick, wurde am 9. Januar 1944 verhaftet und nach Theresienstadt transportiert. Auch er erstickte in Auschwitz am Giftgas Zyklon B. Einzig die Großmutter Selma überlebte das Vernichtungslager und wurde von den Alliierten befreit. Ihr Geschäft in Breslau, dessen Wert sich auf 650.000 Reichsmarkt belief, war nach ihrer Deportation zwangsversteigert worden. Nach einem 20-jährigen Rechtsstreit erhielt sie gerade einmal 65.000 DM als Entschädigung. „Es ist mir unverständlich, weshalb der Prozess der Entschädigung von Nazi-Opfern zwei Jahrzehnte dauerte!“, empörte sich Klaus Klemenz.
Vernichtungspolitik in Mittelfranken
Cornelius Voigt (Die Linke) erinnerte, dass die nationalsozialistische Vernichtungspolitik auch direkt in der Metropolregion Nürnberg stattfand. So starben tausende Rotarmisten im „Russenlager Nürnberg-Langwasser“, während im Außenlager Hersbruck des Konzentrationslagers Flossenbürg rund 3.500 Menschen beim Stollenbau für BMW-Flugzeugmotoren zu Tode kamen. In Erlangen verhungerten im Rahmen der Euthanasie-Aktion T4 1.200 Patienten in der Heil- und Pflege-Anstalt, während über 900 in eigens eingerichteten Tötungsanstalten vergast wurden. „Seit 1990 starben mehr als 200 Menschen durch rechten Terror“, schlug er den Bogen in die Gegenwart. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken und politisches Handeln auf allen Ebenen, um rechtsextremes Denken in Gesellschaft und Politik, Polizei und Militär zu bekämpfen, schlussfolgerte er.
Zwangsarbeit und medizinische Experimente
Hans Tänzer (DGB Schwabach-Roth) erläuterte, dass am 8. Mai 1945 neben den Häftlingen aus Konzentrationslagern und Gefängnissen auch 12.000 Zwangsarbeiter*innen befreit wurden. „Sie arbeiteten auf Bauernhöfen, waren auf Äckern und in Betrieben“, verdeutlichte er das enge Geflecht von Zwangsarbeit und Wirtschaft. Rund 2.500 Firmen wie der Audi-Vorgänger Horch, Krupp oder IG Farben beuteten diese Menschen aus 20.000 zivilen Arbeitslagern aus. „Die Unternehmen zahlten der SS für jede Person und finanzierten so den Terror in Europa“, erklärte Tänzer das nationalsozialistische Wirtschaftssystem. „150 Frauen wurden für medizinische Experimente verkauft“, las er einen Briefwechsel zwischen einem Pharmaunternehmen und einer Lagerleitung vor. Alle „Versuchsobjekte“ starben an den Folgen.
Ein Tag des Feierns
Yannik Pleick (Grüne Jugend) stellte heraus, dass in vielen von den Deutschen besetzten Ländern dieser Tag ein Tag des Feierns sei, etwa in Frankreich, Tschechien und der Slowakei. In den USA, Kanada, Großbritannien und Australien spricht man dabei vom „Victory in Europe Day“. In Deutschland hingegen lautete die jahrzehntelange Bezeichnung „Tag der Kapitulation“. Diesem militärischen Zusammenbruch war jedoch schon in den 30er Jahren eine gesellschaftliche Entsolidarisierung vorausgegangen, die ihren Höhepunkt in der Shoah fand. Auch heute seien ähnliche Zeichen erkennbar. Beispielhaft sind die zahlreichen Gewalttaten wie die Mordserie des NSU, der rechtsextreme Anschlag am Müchener Olympia-Einkaufszentrum oder die rassistischen Morde von Hanau. „Gegen Rechte ist eine klare Haltung nötig!“, rief Pleick den Anwesenden zu.
Nie wieder Rechtsextremismus!
Roths Bürgermeister Ralph Edelhäußer (CSU) lobte das breite parlamentarische Spektrum unserer Demokratie und dankte den anwesenden Stadt-, Kreis- und Bezirksrät*innen für ihr öffentliches Eintreten für diese Demokratie. Es sei wichtig, die nationalsozialistischen Verbrechen auch nach 76 Jahren immer wieder ins kollektive Gedächtnis zu rufen. „Nie wieder Krieg, Ausgrenzung und Rechtsextremismus“, lautete seine Botschaft an das Publikum. Unterstützt wurde die Gedenkveranstaltung von Linken, SPD, Grünen, Die Partei, Franken-Partei, CSU, DGB, Roth ist bunt und der Initiative gegen Rechts Schwabach.
Antifaschistische Musik
Musikalisch wurde die Veranstaltung mit antifaschistischen Liedern begleitet. 14 Lieder aus den Lagern und Gefängnissen des NS-Staates sowie dem Widerstand gegen das Hitler-Regime sind auf der CD „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ der Musikgruppe „Grenzgänger“ enthalten.