DDR: 30 Jahre Einsicht in die Stasi-Akten

17. Januar 2022  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Quelle: Bundesarchiv Stasi-Unterlagen. Magazin in Berlin.

Die Akteneinsicht von seitens der Staatssicherheit ausspionierten Bürger*innen sowie die langfristigen seelischen Folgen waren Gesprächsstoff einer Podiumsdiskussion. Das Stasi-Unterlagen-Archiv befragte Zeitzeug*innen und Verantwortliche der 30-jährigen Aufarbeitung zu den „Spuren der Diktatur“.

Stasi zerstört Beruf und Ehe

Ulrike Poppe war in der Bürgerrechtsbewegung der DDR aktiv, gehörte dem „Bündnis 90“ an und war eine der ersten, die am 6. Januar 1992 die Akten, welche der sozialistische Geheimdienst über sie angefertigt hatte, einsah. Bis heute wurden rund 3,5 Millionen solcher Anträge auf Akteneinsicht gestellt. „In unserer Wohnung hatten wir ein Mikrofon gefunden“, sagte die frühere Aktivistin. So habe sie gewusst, dass alle Lebensäußerungen abgehört, die Briefe geöffnet und alle Telefonate aufgezeichnet wurden. Das Schockierendste bei der Akteneinsicht seien jedoch die „Zersetzungsleitlinien“ (Richtlinie Nr. 1/76) gewesen, mit denen die Staatsmacht Personen, Berufslaufbahnen und Ehen zerstören wollte. „Erst jetzt habe ich verstanden, dass Ereignisse in meinem Leben genau so von der Stasi geplant worden waren“, erinnerte sie sich.

Traumatisierung durch Zwangseinweisung

Dieses Unrecht sei auch 30 Jahre danach noch präsent, da die Betroffenen immer noch an den psychischen Folgen ihrer Traumatisierung litten. Jugendliche wurden damals etwa häufig in Jugendwerkhöfe zwangseingewiesen. Nach dem Ende der DDR standen diese Menschen vor vielen Problemen, erläuterte Poppe. „Psychologische Gutachter aus dem Westen hatten keine Ahnung über die Haftbedingungen in der DDR, im Osten saßen die damaligen Opfer oftmals früheren Sympathisanten des Systems gegenüber“, erklärte Poppe. Heute hätten Betroffene häufig ein geringeres Einkommen und würden somit auch in der bundesrepublikanischen Gesellschaft ausgegrenzt.

Kaum Entschädigung für Betroffene

Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, führte aus, welche Bedeutung der Koalitionsvertrag 2021 für diese Menschen habe. „Gesundheitliche Schäden durch Haft oder andere staatliche Zwangsmaßnahmen müssen schneller und leichter entschädigt werden“, erklärte sie eine der im Vertrag enthaltenen Forderungen. So dauerten solche Prozesse bisher mitunter bis zu 10 Jahre. „80 Prozent der Anträge werden nicht bewilligt“, veranschaulichte sie das momentane Prozedere. Deshalb sei Bürokratieabbau nötig. So solle nach erlebten Repressionen wie Haft, Zersetzung oder Einweisung in Speziallager sowie einer gegenwärtig diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) keine Gutachtenverfahren mehr nötig sein.

Psychologische Beratung

Hilfe für Betroffene bietet der Psychologe Dr. Stefan Trobisch-Lütge, der die Beratungsstelle Gegenwind leitet. In Einzel- oder Gruppengesprächen sowie mit künstlerischen Methoden können damalige Opfer ihre Erlebnisse aufarbeiten. „Auch 30 Jahre danach melden sich immer noch Menschen, die Hilfe suchen“, berichtete der Psychologe. Ursachen könnte eine massive Verdrängung sein. So mussten Gefangene nach ihrer Haftentlassung etwa unterschreiben, über das Erlebte zu schweigen. Aber auch Scham, etwa von Müttern, die gezwungen wurden, ihre Kinder in Heime abzugeben, könne eine Rolle spielen.

Arbeit in Schulen

Die Bedeutung der pädagogischen Arbeit verdeutlichte Dr. Volker Höffer (Außenstelle Rostock). Die Akten von Menschen aus dem Ort zeigten heutigen Schülerinnen und Schülern den gesellschaftlichen Alltag. „Die Jugendlichen können selbst herausarbeiten, was ‚Diktatur‘ für die einzelnen Menschen bedeutete“, erklärte der Historiker die Vorzüge der Regionalgeschichte.

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