Marx: Hat Frankreich das bessere „Kapital“?

22. Oktober 2022  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Fondo Antiguo de la Biblioteca de la Universidad de Sevilla from Sevilla, España, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Die französische Übersetzung von Marx‘ Hauptwerk Das Kapital (Band 1) ist in Deutschland zu wenig beachtet. Auch müsse der Theorie-Wälzer neu gegliedert werden. Zu dieser Einschätzung kam der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski bei einem Gespräch mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Französische Ausgabe hat Neuerungen

„Karl Marx selbst hat in seinen Anweisungen an die englischen und russischen Übersetzer*innen die Vorzüge der französischen Ausgabe betont“, sagte Kuczynski. Doch nach dessen Tod sei Friedrich Engels mit der Sprachästhetik des französischen Werkes unzufrieden gewesen, weshalb er sie in seiner eigenen Neuausgabe fast gar nicht thematisierte, erläuterte der Forscher. Doch werde hier das Kreditsystem oder der Unterschied von Konzentration und Zentralisierung von Kapital viel besser herausgearbeitet.

Mehrheit orientiert sich an deutschem Text

Veröffentlichte Marx den ersten Band des Kapitals („Der Produktionsprozess des Kapitals“) 1867 auf Deutsch, folgte 1872 die zweite Version. 1875 erschien dann die französische Ausgabe. Engels gab eine dritte (1883) und eine vierte (1899) ergänzte Auflage heraus, der Sozialdemokrat Karl Kautsky 1914 seine Volksausgabe. 1932 erschienen im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Marx-Engels-Lenin-Instituts in Moskau jeweils eigene Ausgaben. Doch hatten diese das deutsche Erstwerk, nicht die französische Übersetzung als Vorbild.

Terror am Forschungsinstitut

Der Direktor des (damaligen) Marx-Engels-Instituts, Dawid Rjasanow, wollte vermutlich für seine geplante sowjetische Volksausgabe die französische Version berücksichtigen. Doch wurde er 1931 als Unterstützer einer angeblichen Verschwörung der Menschewiki (russische Sozialdemokraten) verhaftet, die Forschungseinrichtung mit dem Lenininstitut zwangsvereinigt. Rjasanow selbst wurde erneut während Stalins „Großen Säuberungen“ – diesmal als scheinbares Mitglied einer rechtsgerichteten trotzkistischen Organisation – verhaftet und 1938 erschossen.

Buch für junge Menschen

„Meine aktualisierte Ausgabe ist für junge Erstleser*innen gedacht, da das Buch nun hoffentlich leichter verständlich ist“, beschrieb Kuczynski sein Zielpublikum. Hatte Marx etwa durchgehend englische Maßeinheiten verwendet, findet sich nun im Text die deutsche Umrechnung. Auch die – stellenweise 1,5 Seiten langen – Fußnoten wurden korrigiert. So ließ Marx in einer Anmerkung den britischen Schatzkanzler Sir Robert Peel (1834–1835) fragen „Was ist ein Pfund?“. Ließ dies den Finanzminister als geradezu unfähig erscheinen, enthülle das originale Debattenprotokoll jedoch eine eigentliche Inflationsproblematik. „Das ursprüngliche Zitat Peels lautet: ‚Was ist ein Pfund wert?‘“ rückte der Wissenschaftler Marx‘ Ungenauigkeit zurecht.

„Das Kapital“ neu denken

Der Kapital-Kenner empfahl der jungen Generation, mit dem 5. Kapitel über den Arbeitsprozess einzusteigen. Hier werde alltagspraktisch auf die Lebensrealität der Arbeiter*innen eingegangen. Die ersten beiden Kapitel (Ware, Austauschprozess) hingegen beschrieben in theoretischer Art Tausch, nicht jedoch die Produktion der Güter „Der Arbeitsprozess schafft doch erst die Ware, nicht der Tauschprozess“, wünschte sich Kuczynski eine didaktisch veränderte Kapitelanordnung. In diese Richtung hatte beispielsweise schon der Sozialist Julian Borchardt in seiner „Gemeinverständlichen Ausgabe“ von 1919 gearbeitet.

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