Gayatri Spivak: Wer gibt den Unterdrückten eine Stimme?

18. Februar 2023  Gesellschaft
Geschrieben von Redaktion

Gayatri Chakravorty Spivak (Quelle RLS)

Die Frage, wie sich die Unterprivilegierten in der Gesellschaft Gehör verschaffen können, beschäftigt die indisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak. Deren Buch „Can the Subaltern speak?“ war Schwerpunkt der 23. Folge des Theoriepodcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

In der Gesellschaft ungehört

Als „Subalterne“ bezeichnet Spivak all jene marginalisierten Gruppen, die von einem sozialen Aufstieg in der Gesellschaft ausgeschlossen sind: Landlose, Arbeitslose, Analphabet*innen, Frauen. Mit ihren Anliegen finden sie kein Gehör, werden mit ihren berechtigten Bedürfnissen nur allzu oft ignoriert. Doch wie kann man als privilegierte Person dazu beitragen, dies zu ändern?

Bildung, Frauenrechte, Umwelt

Spivak selbst entstammt einer indischen Brahmanen-Familie – der Kaste, der Priester und Gelehrte entstammen und die das höchste gesellschaftliche Ansehen genießt. Nach einem Auslandsstudium in den Vereinigten Staaten erhielt sie schließlich eine Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University/New York City. Neben ihrer Lehrtätigkeit setzt sie sich für Alphabetisierungskampagnen ebenso ein wie für die Frauen- und Ökologiebewegung.

Verantwortung für Schlechtergestellte

Bekannt wurde sie mit ihrer Kritik an Michael Foucault. Dieser hatte postuliert, die arbeitenden Massen wüssten selbst – ohne aufklärerische Partei oder agitierende Intellektuellen – wie sie zu handeln hätten. In diesem Gedanken sieht Spivak jedoch die Gefahr, dass sich die Intellektuellen von den Marginalisierten entfernten und sie mit ihren Problemen allein ließen. Ihrer Meinung nach hätten diese wohlsituierten Gebildeten eine Verantwortung den Ärmeren gegenüber, von der sie sich nicht lossagen dürften.

Diktatur statt Kooperation?

Die negativen Konsequenzen des Alleinlassens der Unterprivilegierten mit ihren Sorgen begründet sie mit der Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (1852) von Karl Marx. Darin hatte dieser das Elend der französischen Parzellen-Bauern beschrieben, die aufgrund der Erbteilung immer weniger Ackerfläche zur Verfügung hatten und somit ihre Familien nicht mehr ernähren konnten. In Ermangelung einer landesweiten Organisation der „Landlosen“ setzten sie ihre Hoffnungen in Louis Napoleon (später: Napoleon III.). Der Enkel Napoleon Bonapartes hatte 1851 in einem Staatsstreich diktatorische Vollmachten erlangt und ließ sich im Dezember 1852 zum Kaiser ausrufen.

Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen

Der entmündigenden Vertretung durch einen „starken Mann“ setzt Spivak jedoch das gemeinsame Gespräch in den Elendsvierteln und der Community entgegen. Durch Bildung und das Erreichen politischer Macht – etwa des Frauenwahlrechts – sollen die Subalternen für sich selbst sprechen und auch gehört werden. Ihr Hauptaugenmerk würde sie bei ihrem 1988 erschienenen Buch heute jedoch auf etwas anderes richten. So sei in unserem globalisierten und arbeitsteiligen Kapitalismus nicht die Frage ausschlaggebend „Wer spricht für wen?“, sondern „Wer arbeitet für wen?“.

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