Katja Lange-Müller: Marx als liberaler Freiheitskämpfer

21. April 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Katja Lange-Müller, 2016 (Foto: Udoweier, CC BY-SA 4.0)

Das dogmatische Beharren auf das „Kollektiv“ statt die Freiheit des Einzelnen, wie Marx es wollte, war ein Grundfehler der DDR. Das sagte die Schriftstellerin Katja Lange-Müller in der RBB-Reihe „Mein Marx“.

Marx: individuelle Freiheitsrechte

Die DDR-Funktionär*innen hätten Marx von Grund auf falsch verstanden, erläuterte die Empfängerin des Günter-Grass-Preis (2017). „Erst die freie Entfaltung jedes Einzelnen ermöglicht die freie Entfaltung aller“, brachte sie Marx‘ Eintreten für liberale Rechte auf den Punkt. Doch die SED-Oberen fokussierten sich nur auf Textstellen über „Gemeinschaft“ und „Kollektiv“, kritisierte sie die offizielle Auslegung in der DDR. „Bloße Vergesellschaftung macht noch lange keinen Sozialismus“, wies Lange-Müller auf das Fehlen von individuellen Freiheitsrechten hin. Statt „Die Philosophen müssen die Welt verändern“ hätte auf den Plakaten zum 1. Mai stehen müssen „Sie müssen sie verbessern“, sagte sie mit Blick auf die Phraseologie der Partei.

Marx, der Dichter

Lange-Müller, deren Mutter Leiterin der Abteilung Frauen im Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland war, war als Jugendliche in der Hausbesetzerbewegung im Prenzlauer Berg aktiv gewesen. 1984 reiste sie aus der DDR nach West-Berlin aus. Im Arbeiter- und Bauernstaat sei Marx als Freiheitsphilosoph nicht thematisiert worden. Ihrer Meinung nach müsse es mindestens vier Marxe geben, erklärte sie. Den Philosophen, den Revolutionär, den Ökonom, aber auch den Dichter. „Der Poet Marx schrieb Gedichte und liebte die Werke Heinrich Heines“, sagte die Autorin.

Denkfehler im Theoriesystem

Einerseits habe Marx mit seiner Kapitalismuskritik eine große Weitsicht, etwa in Bezug auf die heutige Globalisierung, bewiesen. Andererseits habe er jedoch die Anpassungsfähigkeit des weltweiten Wirtschaftssystems unterschätzt. „Der Kapitalismus ist zwar parasitär, stirbt aber keineswegs ab“, pointierte sie einen Lehrsatz aus ihrer Schulzeit. Auch habe Marx Ausbeutung mit Armut gleichgesetzt. Doch auch in unserer aktuellen Wegwerfgesellschaft gelte: Ohne Lohn keine Kaufkraft. „Der überflüssige Müll muss von den Ausgebeuteten ja auch gekauft werden“, beschrieb sie den Denkfehler im Marx‘ historischer Revolutionstheorie.

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