Nancy Fraser: Gemeinsam gegen Kapitalismus

08. Juni 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Nancy Fraser bei einem Vortrag der RLS, New York (RLS-NYC)

Soziale und identitätspolitische Kämpfe gemeinsam führen sowie eine linke Gegenöffentlichkeit zur bürgerlichen Hegemonie bilden, sind Kernthemen von Nancy Fraser. Der Podcast tl;dr der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigte sich mit der sozialistischen US-Feministin.

Gemeinsam kämpfen

Der Politik- und Philosophieprofessorin (New York) zufolge dürfen Fragen der sozialen Gerechtigkeit in linker Praxis nicht gegen Kämpfe um Anerkennung marginalisierter Gruppen ausgespielt werden. Denn sowohl der Einsatz für bessere Bezahlung (sozial) wie auch das Eintreten gegen rassistische Diskriminierung (Identitätspolitik) führe zur Emanzipation der im Kapitalismus benachteiligten Menschen. Statt angebliche „Lifestyle-Linke“ zu schmähen, müssten beide Perspektiven ergänzend zusammengedacht werden, forderte sie. Kritisiere die soziale Sichtweise die ökonomische Ausbeutung der Menschen, richte sich Identitätspolitik gegen patriarchale oder rassistische Unterdrückung.

Neoliberalismus schließt aus

Der neoliberale Markt durchzieht laut Fraser alle menschlichen Beziehungen. Die ökonomische Spaltung der Gesellschaft habe auch soziale Konsequenzen. Die Folgen dieser wirtschaftlichen Ungleichheit sähe man etwa beim Zugang zu Bildung, Wohnen oder Ernährung. Nicht nur die kapitalistische Wirtschaft, auch die Öffentlichkeit führten zu Ungerechtigkeit. Anstelle des von Jürgen Habermas postulierten „herrschaftsfreien Diskurs“ um das beste Argument herrsche weiterhin eine männerdominierte Debattenkultur. In Diskussionen redeten Männer deutlich mehr als Frauen und unterbrächen diese auch häufiger. Neben Frauen würden auch Arbeiter*innen sowie Migrant*innen in gleicher Weise von der öffentlichen Auseinandersetzung ausgeschlossen.

Solidarische Gegenöffentlichkeit

Dieser elitären Öffentlichkeit des Bürgertums setzt Fraser in Anlehnung an Antonio Gramsci eine subalterne Gegenöffentlichkeit entgegen. Die Unterdrückten und Ausgeschlossenen müssen sich zusammenschließen, um gemeinsam eine Gegenmacht zur aktuell herrschenden Diskurshoheit zu bilden. Dies schließt ein breites Spektrum aus Arbeiter*innen, Mittelschicht, Gewerkschaft und Migrant*innen mit ein. Wirtschaftspolitisch sieht sie statt im Freien Markt oder staatlich gelenktem Etatismus die Zukunft in der Emanzipation der Menschen.

Linke Gesellschaftsentwürfe nötig

Gegenwärtige Schwierigkeiten der Kapitalismuskritik begründete sie mit dem Fehlen fortschrittlicher Visionen nach dem Scheitern des sowjetischen Realsozialismus. Nach 1990 habe sich global keine glaubwürdige Alternative zum Kapitalismus durchgesetzt. Statt einer linken gerechten Gesellschaftsordnung wurde der marktgetriebene Neoliberalismus zum Maß aller Dinge.

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