Journalismus in Afghanistan

20. Mai 2022  International
Geschrieben von Kreisverband

Quelle: Reporter ohne Grenzen

Über ihr Leben als Journalistinnen in Afghanistan sowie die Flucht nach Deutschland berichteten die Schwestern Zainab und Raihana Farahmand. Die 11. Folge des Podcasts „Pressefreiheit Grenzenlos“ von Reporter ohne Grenzen (RSF) beschäftigte sich mit ihren Erlebnissen.

Anschläge und Flucht

Zainab schloss 2015 ihr Studium der Literaturwissenschaften ab und kam durch verschiedene Fortbildungen in Kontakt mit „Die Welt“. Für die überregionale deutsche Tageszeitung berichtete sie aus Kabul und der Region. „Bei einem Bombenanschlag auf eine Schule starben 80 Mädchen“, erzählte sie von einen ihrer Einsätze. Zu der Zeit habe ein Sprecher der Taliban verkündet, dass bisher 1.500 Anschläge verübt worden seien. Niemand habe mit dem vorzeitigen Abzug der NATO-Truppen gerechnet, schilderte sie ihre Gefühle vom August 2021. Erst als die ausländischen Staaten begannen, ihr Botschaftspersonal abzuziehen, sei ihr die Gefährlichkeit ihrer Lage bewusst geworden. Mit vielen anderen stürmte sie das Rollfeld des Militärflughafens und gelangte noch in eine US-Transportmaschine. „Als das Flugzeug aufsetzte, waren wir in Dohar, Katar“, berichtete sie. Zwei Wochen später flog sie nach Berlin.

Feindeslisten und Schulbesuch

„Mein Name stand auf der Liste der Taliban“, berichtete ihre Schwester Raihana über die Wochen nach dem Sturz der alten Regierung. Die neuen Machthaber hätten die Kinder auf der Straße nach den Adressen befragt, so dass sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen konnte. „Mein Vater war sehr offen und ermöglichte unseren Schulbesuch“, erinnerte sie sich. Nachbarn und Verwandte hingegen kritisierten diesen Schritt, da Studium und Beruf nichts für Frauen sei. „Das machte uns zu Vorbildern der kleinen Mädchen, die zu uns aufschauten“, verriet sie über die Situation anderer Kinder.

Geruch verbrannter Menschen

Raihana arbeitete zuerst bei einem Schulradio, wo sie mit Kindern sang, musizierte und Gedichte vortrug. Neben dem Studium war sie bei Radio- und Fernsehsendern aktiv und berichtete schließlich als Journalistin. „Die Menschen bei dem Anschlag nahe der Deutschen Botschaft waren so zerfetzt, dass man sie nicht mehr identifizieren konnte“. Sie machte Interviews mit Schwerverletzten oder Angehörigen in der Gerichtsmedizin. Ein Kollege starb bei einem Einsatz, schilderte sie die schrecklichen Bilder ihres Alltags. „Ich hatte immerzu den Geruch von verbrannten Menschen in der Nase“, erinnete sie sich an ihr damaliges Leben.

Staatengemeinschaft blickt weg

Trotz vieler Möglichkeiten wollte sie Afghanistan jedoch nicht verlassen. „Mein Traum war, hier zu arbeiten, den Menschen den Glauben an ihr Land zu geben, damit sie es wieder aufbauen“, erzählte sie von ihrer Motivation. Selbst als Herat und Mazār-i Šarīf an die Taliban fielen, glaubte sie daran. Doch doppelzüngige Politiker und eine von Anschlägen zermürbte Bevölkerung konnte nicht mehr für das Land kämpfen. Mit Unterstützung von „Reporter ohne Grenzen“ schaffte sie es, mit ihrer Familie zuerst nach Pakistan, dann weiter nach Deutschland auszureisen. „Nach sechs Monaten Taliban-Herrschaft werden dort Listen abgearbeitet, Häuser durchsucht und Frauen entführt“, beklagte sie die aktuelle Lage in Afghanistan. Dies sei möglich, da die internationale Aufmerksamkeit nun auf der Ukraine läge.

Bundesregierung muss helfen

„Wir erhielten 17.500 Hilferufe aus Afghanistan“, rergänzte Katja Heinemann, Teamleiterin Nothilfe und Stipendien von RFS die Tage nach der Machtübernahme der Taliban. Aufgrund der schieren Masse war eine Überprüfung der eingehenden Anfragen jedoch kaum möglich. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) setzte die Namen von 150 Menschen sowie deren Familienangehörige auf die Menschenrechtsliste des Auswärtigen Amtes. 105 seien mittlerweile in der Bundesrepublik. „80 Prozent der Evakuierungsflüge wurden von NGOs organisiert und finanziert“, erläuterte Heinemann. Nur jede fünfte Rettungsmission von Ortskräften oder anderen bedrohten Personengruppen sei von Staaten wie den USA oder der BRD ausgegangen, kritisierte sie. Auch die neue Bundesregierung müsse sich für die zusätzliche Aufnahme bedrohter Menschen aus Afghanistan stark machen.

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