Bodo Ramelow: Politik an der Seite der Schwächsten

11. Oktober 2022  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Bodo Ramelow empfängt die Thüringer Olympiateilnehmer, 2022 (Urheber: Steffen Prößdorf CC BY-SA 4.0)

Für Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bedeutet Linkssein, sich an die Seite der Schwächeren zu stellen. Wie er dies in den vergangenen Jahrzehnten machte und welche Kritikpunkte er an der Partei Die Linke hat, erläuterte er in der Vorstellung seiner Biografie mit dem Journalisten Johannes Fischer.

Friedensordnung für Europa nötig

„Wir dürfen unseren Blick nicht nur auf den russischen Krieg in der Ukraine verengen“, mahnte der Bundesratspräsident an. Der Transnistrien-Konflikt sei lediglich seit 30 Jahren eingefroren, in der Region Armenien-Bergkarabach flammte die Gewalt erneut auf. Ursachen und Folgen des Kaukasuskriegs, den Russland 2008 gegen Georgien führte, seien in der bundesdeutschen Politik ebenso wenig Thema, wie der türkische Völkermord an den Armenier*innen, dessen Erinnerung am 24. April begangen werde. Die zentrale Frage laute „Wie muss eine Friedensordnung in Europa aussehen, um all diese Krisenherde zu befrieden?“, so Ramelow.

Minderheitenrechte für Ostukraine

Gleiches gelte auch für die Ukraine. „Wie sieht die Zeit nach dem imperialen Angriffskrieg Russlands aus?“, fragte er. Die Probleme auf der Krim, in Donezk und Luhansk seien auch nach einem militärischen Sieg der Ukraine weiterhin vorhanden. „Der alleinige Fokus auf Waffenlieferungen ist zu kurz gedacht“, warnte er. Zugleich müsse politisch gewährleistet werden, dass in den Gebieten die russischen Minderheitenrechte anerkannt würden – etwa vergleichbar mit den Bevölkerungsgruppen der Sinti*zza und Rom*nja, Sorb*innen, Fries*innen oder Dän*innen in Deutschland.

Linkssein: Dem Schwächeren beistehen

Zeitgleich rieb sich das protokollarisch zweithöchste Staatsoberhaupt an dem kategorischen „Nein“ seiner Partei zu Waffenlieferungen. „Mein Linkssein bedeutet, immer dem Schwächeren beizustehen“, beschrieb er seine Haltung. Dass die Bundesregierung als „vertrauensbildende Maßnahme“ den Export von Panzertrainingszentralen an die Russische Föderation erlaubte, sei jedoch die Unterstützung des Stärkeren gewesen. „Alle russischen Kanoniere sind an Material von Rheinmetall ausgebildet“, sagte er. Wenn der Angegriffene nun darum bitte, ebenfalls Panzer zu seiner Verteidigung kaufen zu können, könne er die ablehnende Position der Linken nicht nachvollziehen, erklärte er.

Ramelow: Eine vielseitige Person

„In Ramelow wohnen viele Personen“, veranschaulichte der Biograf und Journalist Johannes Fischer diese inneren Spannungsfelder des Politikers. So paare sich in seiner Person etwa eine tiefe Gottgläubigkeit mit gewisser Biederkeit, stünden ein Netzwerker und Kommunikator neben einem Witzigen, der im nächsten Moment auch ein Beleidigter sein könne, beschrieb er den Facettenreichtum der Persönlichkeit. Auch dass Ramelow den Heimatbegriff als den Sehnsuchtsort seiner Seele, als Raum, in dem er sich wohlfühle, positiv besetze, sei eher ungewöhnlich. Damit läge er auf einer Linie mit dem von ihm regierten Bundesland. 87 Prozent der thüringischen Gemeinden seien ländlich geprägt, laut Thüringen-Monitor „Heimat“ ein selbstverständlich genutzter Begriff. Die Kehrseite jedoch: 47 Prozent stimmen fremdenfeindlichen Aussagen zu, ergab eine Umfrage.

Sozialismus und Christentum

Hier arbeitete Ramelow 1997 zusammen mit Gewerkschafter*innen, Theolog*innen und Intellektuellen die „Erfurter Erklärung“ aus, die unter anderem eine ökologische Steuerreform forderte, die Erbschaften, Vermögen und verursachte Umweltzerstörungen einschloss. Zugleich sprach sich das Papier für eine demokratische-sozialistische Politik aus. Als Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung war er auch auf vielen Kirchentagen aktiv. „Christsein und Linkssein verträgt sich“, lautet seine Meinung. Einer seiner Höhepunkte war der Besuch des verstorbenen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal auf dem Parteitag der Linken in Rostock (2010). Dort las der einstige Kulturminister der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront den Genoss*innen den Sozialismus aus der Bibel vor.

Bibel und Politik

Dass Kirche und linke Positionen keine Gegensätze wären, erläuterte Ramelow am Beispiel des „Denkmals für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ in Erfurt. „Die Kirchengemeinde setzte sich gemeinsam mit der Gewerkschaft gegen den politischen Widerstand aus dem Rathaus für die Errichtung des Erinnerungsortes ein“, erinnerte er an gemeinsame Kämpfe. Für ihn bedeute die jesuanische Botschaft, dass der, der mehr hat, auch mehr geben solle. „‚Einer trage des anderen Last‘ (Gal 6,2) ist das heutige Lastenausgleichsgesetz“, zog er Parallelen zwischen Bibel und Politik.

Ein wendungsreiches Leben

Da Ramelows Familie seit 300 Jahren in seinem kleinen Geburtsort in Hessen die Gastwirtschaft als auch die Bäckerei führte, sollte der heutige Ministerpräsident eigentlich Bäckerlehrling werden. Doch eine Mehlstauballergie machte die Pläne zunichte, sodass er gelernter Lebensmittelkaufmann wurde. Ein Studium zum Weinbauingenieur auf dem zweiten Bildungsweg wurde wiederum von einer Wirbelsäulenverkrümmung verhindert, da schwere Arbeiten im Weinberg nicht zu stemmen waren. Eine berufliche Alternative zeigte sich in der Supermarkt-Leitung in Marburg, über die Ramelow in die Gewerkschaft und schließlich zum Betriebsratvorsitz kam. Die ostdeutsche Städtepartnerschaft führte ihn schließlich nach Thüringen.

Westdeutsche Arroganz

„Ich habe die Zeit nach 1989 aus meiner privilegierten Position heraus miterlebt“, schilderte er die Zeit der Wiedervereinigung. So musste er weder die eigene Versicherung nach dem neuem Standard der Bundesrepublik wechseln noch neue Konten für ostdeutsche Familienangehörige einrichten. „Die westdeutsche Gewerkschaft hätte besser Tropenhelme und Khaki-Uniformen tragen sollen – dann wäre sie ihrem Status als Besatzungsmacht gerecht geworden“, beschrieb er die Arroganz und Herabwürdigung, die auch in weiten Teilen der bundesdeutschen Politik verbreitet war.

Einheit statt Flügelkämfe

Kritik übte der Ministerpräsident jedoch auch an der aktuellen Situation der Linken. Es gäbe viele strukturelle Mängel in der Partei, die angegangen werden müssten, schilderte er die Lage. „Der Kapitalismus ist nicht davon beeindruckt, wenn bei Parteitagen die eine Strömung den Sieg über die andere als Ziel hat“, sagte er zu dogmatischen Flügelkämpfen. Auch sei eine Doppelspitze, die nicht zusammenarbeite, wenig hilfreich. Und eine Bundestagsfraktion, die ein Eigenleben führe, sei nicht dazu geschaffen, Die Linke als schlagkräftige Partei oberhalb der 3 Prozent aussehen zu lassen.

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