Antisemitismus 2.0 – Judenhass im Internet

16. November 2020  Politik, Unkategoisiert
Geschrieben von Kreisverband

In Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern präsentierte der Sprachwissenschaftler Markus Weiß (TU Berlin) die Ergebnisse des DFG-Projekts „Verbal-Antisemitismen im Internet“. Dabei analysierte ein Forschungsteam von 2007 bis 2018 insgesamt 265.496 Kommentare von 6.374 Webseiten. In diesem Zeitraum verdreifachte sich die Anzahl der antisemitischen Online-Kommentare.

„Das Internet macht den in der Gesellschaft vorhandenen Antisemitismus sichtbar“, fasste Weiß das Ergebnis zusammen. So hätte man nicht etwa im Darknet oder in geschlossenen rechtsradikalen Foren recherchiert, sondern in öffentlich zugänglichen Kommentarspalten der Qualitätsmedien (u.a. FAZ, Focus, SZ, Tagesspiegel, taz, Welt, Zeit), sowie auf Facebook, Youtube und Twitter. Eine Konstante seien dabei stereotype Zuschreibungen gewesen, wie sie seit der Antike existieren. So würden Jüd*innen häufig als Fremde, Wucherer, Ausbeuter oder Ritualmörder diffamiert.

Eine Überraschung stellten für den Sprachwissenschaftler antisemitische Fragestellungen in Ratgeberforen dar. So läse man auf gutefrage.net Themenvorschläge wie „Was ist der Holocaust / Märchen oder Wahrheit?“ oder „Warum sind Juden immer so böse?“. Auch, dass rein religiöse Zeremonien (bspw. Beschneidungsdebatte 2012) sofort mit Kritik an dem Staat Israel verbunden würden, habe er nicht erwartet. Weiß wünschte sich von den Betreiber*innen solcher Foren eine stärkere Sensibilität. Während antisemitische Äußerungen unter Beiträgen der Tagesschau schnell gelöscht würden, seien Gewalt- und Hasskommentare unter Youtube-Videos deutlich länger im Netz.

Den Ursprung des Antisemitismus machte Weiß im christlichen Antijudaismus aus, der nach der Abspaltung der christlichen Sekte zur Abgrenzung von der jüdischen Hauptreligion diente. Beispielhaft dafür seien Vorwürfe der Jüd*innen als Christusmörder*innen (vgl. Mk 15,13-15). Daraus entwickelte sich schließlich der Klassische Antisemitismus als Zuschreibung negativer Eigenschaften wie Geldgier oder „rassischer“ Minderwertigkeit. Nach 1945 bildete sich der Post-Holocaust-Antisemitismus. Dabei wird behauptet, heutige Jüd*innen profitierten von der Shoa (rechtsextrem: „Schuld-Kult“). Eine weitere Strömung stellt der israelbezogene Antisemitismus dar. Dies äußert sich oft in der Delegitimierung des Staates Israels. Die Auswertung der Kommentare ergab, dass 54,02% Klassischen Antisemitismus vertraten, 12,63% Post-Holocaust-Vorwürfe und 33,35% israelbezogen antisemitisch vorgingen.

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