Norbert Frei: NS-Eliten in der Bundesrepublik

02. Juli 2022  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Reinhard Gehlen, späterer Präsident des Bundesnachrichtendienstes (Bundesarchiv Bild 183-27237-0001 CC BY-SA 3.0 de)

Die Phasen „Abgrenzung“, „Kontinuität“ und „Bruch“ in Bezug auf die nationalsozialistischen Eliten in der jungen Bundesrepublik machte Prof. Dr. Norbert Frei bei einem Vortrag der Stiftung Demokratie Saarland aus. Diese (nicht) erfolgte Aufarbeitung der NS-Funktionsträger habe zu guter Letzt auch Auswirkungen auf den Umgang mit den SED-Verbrechen gehabt.

Alliierte Entnazifizierung

„Die politische Führung des Dritten Reichs hatte nach 1945 keine Zukunft“, erklärte Frei. 1945/46 standen im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 24 Personen aus der Spitze des NS-Staats vor Gericht, es kam zu zwölf Todesurteilen. In zwölf weiteren Nachfolgeprozessen wurden auch Bankiers, Unternehmer, Ärzte und Offiziere abgeurteilt, zwölf Angeklagte hingerichtet. Die Alliierten internierten nach Kriegsende tausende NS-Funktionäre. Im August 1945 saßen rund 90.000 Deutsche mit NS-Karriere in Haft. Ebenfalls wurden alle Beamte, die vor 1937 Mitglied der NSDAP waren, entlassen. Dies betraf ca. 400.000 Beamte bzw. Berufssoldaten. Das harte Vorgehen der Siegermächte führte dazu, dass niemand der Deutschen je Nazi gewesen sein wollte, wie die geflohene Philosophin Hannah Arendt bei ihrer Reise nach Deutschland 1949/50 feststellte.

Adenauer: „Viel Unheil“

Zu einer Rückkehr zahlreicher NS-Funktionäre kam es jedoch mit Beginn des Kalten Krieges ab den 50er Jahren. Bundeskanzler Konrad Adenauer stellte sich in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 öffentlich gegen die praktizierte Entnazifizierung der Alliierten „Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden“, kritisierte er. „Aber im übrigen dürften wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland unterscheiden: die politisch Einwandfreien und die Nichteinwandfreien. […] Für manche Verfehlungen und Vergehen [muss man] Verständnis aufbringen“, forderte der Unionspolitiker mit Blick auf Vergehen während und nach der nationalsozialistischen Herrschaft. Diese gesellschaftliche Sichtweise griff der einstige Buchenwald-Insasse Eugen Kogon in seiner Schrift „Das Recht auf den politischen Irrtum“ (1947) auf. Statt Selbstkritik herrsche im deutschen Bewusstsein Widerstand gegen eine nationale „Kollektivschuldanklage“ sowie eine angebliche alliierte „Erobererpolitik“ vor. Im Zuge dessen kam es zu zahlreichen Amnestiegesetzen, bis das Entnazifizierungsprogramm schließlich offiziell liquidiert wurde.

West und Ost

1953 standen den 123 in diesem Jahr verurteilten NS-Tätern 1.655 Strafurteile gegen Kommunisten entgegen. Im gleichen Jahr zerschlugen die britischen Besatzungsbehörden den „Naumann-Kreis“ um Werner Naumann, einstiger Staatssekretär in Goebbels Reichspropagandaministerium. Dessen Ziel war es, die junge FDP mit früheren NSDAP-Genossen zu kapern. Kurz zuvor war die Sozialistische Reichspartei (SRP), die sich in der Nachfolge der NSDAP sah, verboten worden. Während in der sowjetischen Besatzungszone sämtliche NSDAP-nahen Justizbediensteten entlassen wurden, kam es im bundesdeutschen Teil zu keinem einziger Urteil gegen einstige NS-Juristen. So konnte das „antifaschistische Deutschland“ dem kapitalistischen Konkurrenten vorhalten, mit dem Personal von damals die gleiche Ideologie zu vertreten wie anno 1933.

Die Stasi und Alt-Nazis

Zu einem Umdenken kam es 1960 mit der Ausstellung „Ungesühnte Nazi-Justiz und NS-Medizin“. Mit Akten aus ostdeutschen Archiven zeichnete der Student Reinhard Strecker die Karrieren von 100 in der Bundesrepublik aktiven ehemaligen Nazis nach. Auch zu Hans Globke, Chef von Adenauers Bundeskanzleramts, gab es Dossiers aus dem Osten. Der Jurist hatte Kommentare zu den Nürnberger Rassegesetzen geschrieben. Zusammen mit dem ersten Präsident des Bundesnachrichtendiensts Reinhard Gehlen (ehemals Feindaufklärung der Wehrmacht „Fremde Heere Ost“) veranlasste Globke das Ausspionieren der SPD-Opposition unter Adenauer. Aufgrund des seitens der Staatssicherheit veröffentlichten Materials kam es 1960 zum Rücktritt von Theodor Oberländer. Der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (CDU) war 1923 mit Hitler vor die Feldherrenhalle marschiert, um mit einem „Marsch auf Berlin“ die gewählte Regierung zu stürzen. 1969 trat der Bundespräsident Heinrich Lübke zurück. Als Bauleiter der Heeresversuchsanstalt Peenemünde (z.B. Rakete V2) war er für den dortigen Einsatz von KZ-Häftlingen verantwortlich. Die gezielt vom ostdeutschen Geheimdienst unter den 68er-Studierenden verbreiteten Materialien führten zu einem klaren Bruch der jungen Generation mit ihren Eltern. In diesem Jahr ohrfeigte Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (NSDAP-Nr. 2633930).

1989: Aufarbeitung – diesmal richtig

1989 versuchte die westdeutsche Gesellschaft Lehren aus der unzureichenden Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur zu ziehen. Nach dem Ende der SED-Diktatur wurde mit der Gauck-Behörde eine Institution begründet, die die Akten der Staatssicherheit den Betroffenen zugänglich machte. Mit dieser gewissenhaften Art der geschichtlichen Auseinandersetzung ist Deutschland im Vergleich zu anderen postsowjetischen Staaten besonders hervorzuheben.

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