Armut – Wer schuldet uns was?

16. Oktober 2022  International
Geschrieben von Kreisverband

Flagge von Argentinien

Lebensumstände, die durch hohe Mieten und Nahrungsmittelpreise automatisch in die Verschuldung führen, von der in besonderem Ausmaß Frauen betroffen sind. So stellten Aktivist*innen aus Argentinien beim zweiten Maldekstra Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Situation in dem südamerikanischen Land dar.

Armut ist weiblich

„Durch die Pandemie mussten sich 40 Prozent der privaten Haushalte verschulden“, erläuterte Luci Cavallero die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in Argentinien. Schulden seien mittlerweile das weitere Familienmitglied am Tisch. In besonderem Maße seien Frauen von den Maßnahmen betroffen gewesen, da die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen bei ihnen zu zusätzlicher, unbezahlter Care-Arbeit führte. Darüber hinaus bedeuteten die Ausgangsbeschränkungen, dass Frauen einer gewalttätigen Beziehung zu Hause nicht entkommen konnten.

Wucherzinsen und Staatsbankrott

Hart traf es auch Alleinerziehende. Diese waren besonders von Mehrarbeit und Verschuldung betroffen. Zwar erhielten diese im regulären Bankensystem keine Kredite. Doch der informelle Finanzsektor biete besonders von Armut betroffenen Menschen Kreditmöglichkeiten – allerdings zu enormen Zinssätzen, schilderte Cavallero. Aufgrund der unentgeltlichen Haushaltsführung sowie anfallender Care-Arbeit seien Frauen besonders von Verschuldung betroffen.

Dem – als Erbe der Militärdiktatur – hoch verschuldete Land gelang in den 2000er Jahren ein weitgehender Entschuldungsprozess. Doch 2017/18 vergab der Internationale Währungsfond IWF einen Kredit von 57 Milliarden Dollar, dessen Rückzahlung den Staat an die Schwelle des Bankrotts brachte. 2019 betrug die Staatsverschuldung über 300 Milliarden Dollar. Eine Maßnahme zur Kostenreduzierung sah vor, die Renten von Frauen zu kürzen. „Wir müssen etwas gegen die hohen Mieten, Lebenshaltungskosten und Zinsen tun“, fasste Cavallero ihre Ziele zusammen. Auch müsse ein Schuldenschnitt für Privatpersonen möglich sein.

Leben bedeutet Schulden

Verónica Gago, Autorin des Buches „Für eine feministische Internationale“, verdeutlichte die drastische Situation. „Allein die Kosten für Miete und Lebensmittel führen automatisch in die Verschuldung“, beschrieb sie die Folgen einer Inflationsrate von 51 Prozent. 16 Prozent der Kinder lebten in Armut. Nach aktueller Lesart sei Verschuldung die Schuld des Einzelnen, ein individuelles Scheitern des wirtschaftlichen Erfolgs. Von dieser Sichtweise müsse man wegkommen und das System kollektiv betrachten. Ansätze, um vor allem den betroffenen Frauen zu helfen, sei etwa die finanzielle Entlohnung von Care-Arbeit. Aber auch ein Grundeinkommen wäre im Gespräch.

Soziale Ungleichheit

Susanne Hansen von der Bewegung #ichbinarmutsbetroffen stellte die Lage in Deutschland dar. Die Entlastungspakete mit ihren Einmalzahlungen für von Armut betroffenen Menschen seien zu gering. Zuschläge von 53 Euro für Hartz-IV- bzw. Bürgergeld-Empfänger*innen seien niedriger als die Inflation. „Uns rufen mittlerweile Menschen am 11. Tag des Monats an, weil sie wegen der gestiegenen Kosten das gesamte Monatsbudget bereits aufbrauchen mussten“, schilderte sie Alltagssituationen. Nötig sei ein Existenzminimum von 678 Euro pro Monat und eine Abkehr von der entwürdigenden Bürokratie. „Die zehn reichsten Prozent haben ihr Vermögen während der Pandemie um 75 Prozent gesteigert“, erläuterte sie die soziale Schieflage. Die zwei reichsten Familien besäßen mittlerweile so viel wie 41,5 Millionen andere Menschen, veranschaulichte sie globale Dimension.

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