Rosa Luxemburg und die kurdische Frauenbewegung

12. Juli 2022  International
Geschrieben von Kreisverband

Nationalflagge („Ala Rengîn“) des kurdischen Volkes (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei)

Die Idee Rosa Luxemburgs lebt in Rojava weiter! Zu dieser Erkenntnis kamen die Referent*innen des Kurt-Eisner Vereins anlässlich der Veranstaltung „Die kurdische Freiheits- und Frauenbewegung und Rosa Luxemburg“.

Demokratie statt Parteiendiktatur

„Emanzipation und Freiheit sind die zentralen Begriffe in Luxemburgs Denken“, erläuterte der Historiker Jörn Schütrumpf. Für die aus dem russisch besetzten Polen stammende Revolutionärin seien Rechtsstaat, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie die Freiheit des Einzelnen unverzichtbare Bestandteile des Sozialismus gewesen. Sozialismus bedeute den Ausbau der politischen Freiheiten und die Lösung der „Sozialen Frage“ durch einen funktionierenden Rechtsstaat, erklärte Schütrumpf. Grundlegend dafür sei, dass sich dies auf eine demokratisch organisierte Massenbewegung stütze. In „Zur russischen Revolution“ (1918) kritisierte sie die Bolschewiki massivst. Diese schafften unter Lenin und Trotzki die Freiheiten aller ab, um sie durch eine Minderheiten-Diktatur ihrer Partei zu ersetzen. Mit der gewaltsamen Niederschlagung des Kronstädter Aufstands 1921 zerstörten sie blutig die Idee der sozialistischen Arbeiter*innen-Selbstorganisation (Räte-System).

Autonome Selbstverwaltung

Die in der ersten Russischen Revolution (1905/06) spontane Entstehung von Räten inspirierte Luxemburg zu ihrer Schrift „Massenstreik: Partei und Gewerkschaft“. Damit plädierte sie entschieden für eine Kampfmethode des Anarchismus. Auch in „Nationalitätenfrage und Autonomie“ (1910) seien herrschaftsfreie Tendenzen erkennbar, sagte Schütrumpf. Sie lehne partikulare Nationalismusbestrebungen klar ab. Stattdessen befürworte sie einen Staat, der ein größtmöglichstes Maß an autonomer Gebietsselbstverwaltung ermögliche. Diese Forderung ging auf ihre Jugendzeit in Russisch-Polen zurück, wo der zaristische Zentralstaat die polnische Sprache unterdrückte sowie polnische Parteien verbot.

Öcalan: Demokratischer Konföderalismus

„Der kurdische Freiheitskampf ist die Fortsetzung der Werte Luxemburgs“, sagte Nilüfer Koç, Sprecherin der Internationalen Angelegenheiten des Kurdistan National Congress (Brüssel). Dass ihre Ideen in Kurdistan immer noch lebendig seien, erkenne man daran, dass sich viele der Kämpferinnen mit „Rosa“ nach der sozialistischen Revolutionärin benannten. Wie Luxemburg die Diktatur der Bolschewiki, so lehnte Abdullah Öcalan, Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), auch den sowjetischen Zentralstaat als Zentrum der Macht ab. Stattdessen solle das Konzept des „Demokratischen Konföderalismus“ weitestgehende Autonomie ethnischer, religiöser und kultureller Gruppen gewährleisten.

Basisdemokratisch und kooperativ

Die kurdische Freiheitsbewegung sei nicht national ausgerichtet, sondern international und grenzübergreifend orientiert, erläuterte Koç. So müsse das Wasser und Erdöl in Kurdistan allen Menschen gleichermaßen zugute kommen und nicht durch Privatisierung oder nationalen Zuschreibungen einzelne Gruppen ausschließen. Nicht die Spaltung durch nationale Grenzen, sondern der Zusammenhalt der in der Region lebenden Gesellschaft sei die Zukunft. Dabei nähmen Frauenbewegungen, die eine radikale Demokratie anstrebten, eine besondere Rolle ein. „Dezentrale Strukturen, Kooperativen und Kommunen“ beschrieb sie die Bausteine dieser basisdemokratisch organisierten Gemeinschaft.

Sakine Cansiz und Luxemburg

Anja Flach, Autorin mehrerer Bücher zur kurdischen Frauenbewegung, stellte Luxemburg die kurdische Freiheitskämpferin Sakine Cansiz gegenüber, die 2013 in Paris ermordet wurde. Die Mitbegründerin der PKK hatte sich auch für den Aufbau weiblicher Selbstverteidigungseinheiten eingesetzt. Die Gleichberechtigung im bewaffneten Kampf führte Flach zufolge zur Emanzipation vom traditionell vorherrschenden Patriarchat und gab den Frauen Selbstvertrauen und Stärke. Nach der kurdischen Kontrolle von Rojava (Westkurdistan) 2012 bildeten sich dort kurdische Frauengemeinschaften (Komalên Jinên Kurdistan). In den kommunalen Frauenzentren (Mala Jin) arbeiteten sie im Sinne Luxemburgs an umfassenden demokratischen Strukturen. Hier sah die Publizistin eine Gemeinsamkeit mit der Sozialistin, welche den Grad der weiblichen Emanzipation als Maß der allgemeinen Emanzipation festgelegt hatte. Auch heute hätte der Aufruf Luxemburgs zur Befreiung der Frauen und der Menschheit nichts von seiner Gültigkeit verloren: „Proletarierin, Ärmste der Armen, Rechtloseste der Rechtlosen, eile zum Kampfe um die Befreiung des Frauengeschlechts und des Menschengeschlechts von den Schrecken der Kapitalherrschaft“ (1914).

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