Ein utopischer Sozialismus

10. September 2022  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Das Dilemma zwischen Wirtschaftswachstum und ökologischer Krise im Kapitalismus sowie Ideen eines nachhaltigen Sozialismus waren Thema bei dem Vortrag „Die Utopie des Sozialismus“. Klaus Dörre (Universität Jena) sprach über sein kürzlich erschienenes Buch bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden Württemberg.

Wohlstand vs. Umwelt

„Unser grundlegendes Problem ist die ökonomisch-ökologische Zangenkrise“, beschrieb Dörre die aktuelle Situation. Schon seit der ersten industriellen Revolution habe das Wirtschaftswachstum dazu gedient, soziale Konflikte zu entschärfen. Der dafür notwendige enorme Ressourcen- und Energieverbrauch sowie Schadstoffausstoß führe jedoch zu ökologischen Gefahren wie dem Klimawandel. Ohne Wirtschaftswachstum vergrößere sich die soziale Not, mit Wirtschaftswachstum die Klimakrise, fasste er das das Dilemma zusammen. „Die Lockdowns des Jahres 2020 reduzierten die CO2-Emmissionen um 5,6 Prozent“, erklärte er. Gleichzeitig führte die Wirtschaftsrezession rund 75 Millionen Menschen in extreme Armut und vergrößerte die soziale Ungleichheit, zeigte Dörre die andere Seite der Medaille auf.

Grundlegende Transformation nötig

Nähme man die Forderungen der Wissenschaftler*innen ernst, bräuchte es eine jährliche Reduktion um 7,5 Prozent. Die Abkehr von fossilen Energieträgern beträfe vor allem unser Finanzsystem, da die aktienbedingte, auf zukünftige Gewinne ausgelegte Wirtschaft ein ständiges Wachstum erzwinge. Doch auch der Energie- und Verkehrssektor müsse, ebenso wie der Baubereich, oder die Landwirtschaft schnellstmöglichst klimaneutral werden, mahnte er an. Die Ampel-Regierung versuche das Problem dadurch zu lösen, dass sie den Wirtschaftswachstum von seinen ökologischen Folgeschäden entkoppele. Notwendig sei jedoch eine Gesellschaft ohne zwanghaftes Wachstum.

Folgekosten und Vergesellschaftung

Eine Stellschraube hin zu einem nachhaltigen Sozialismus sei die Abkehr vom Bruttoinlandsprodukt. Stattdessen müsse man die ökologischen Folgeschäden eines Produktionsprozesses miteinrechnen, forderte er. „Die Eigentumsfrage gemäß Paragraph 15 (Vergesellschaftung) sollte an Nachhaltigkeitsaspekte gekoppelt werden“, lautete Dörres Ansage. Dies führe dazu, dass umweltschädliche Konzerne enteignet werden könnten. Statt Privateigentum bräuchte es kollektives Selbsteigentum. Die Aktiengesellschaft Mercedes Benz Group solle in diesem Sinne in eine Mitarbeiter*innengesellschaft der Angestellten umgewandelt werden. Diese entschieden demokratisch über Personalfragen sowie welche Produkte das Unternehmen herstelle. Die Produktion langlebiger (und teurer) Güter und ökologischer Lebensmittel bedürfe einer finanziellen Entlastung Geringverdienender. Gleichzeitig müsse der Staat gegensteuern, wenn im europäischen Durchschnitt die CO2-Emmissionen um gut 25 Prozent sanken, die Wohlhabenden ihren Ausstoß jedoch um 5 Prozent steigerten.

Marxismus und Wissenschaft

Es brauche eine neue Art von Sozialismus, da die aus der Industriegesellschaft stammenden Systeme nicht mehr zeitgemäß seien. Allerdings böten Marx und Engels eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten, wie solch eine neue Gesellschaft aussehen könne. Als schwierig sah Dörre linke Tendenzen innerhalb der Querdenken-Bewegung. „Es gibt Linke, die auf Qerdenken-Demos mitlaufen, gegen das Impfen sind und das Weltwirtschaftsforum für einen sogenannten ‚Great Reset‘ verantwortlich machen“, skizzierte er die Lage in Baden-Württemberg. Dabei gehe es nicht mehr um wissenschaftliche Auseinandersetzung (gemäß dem Wissenschaftlichen Sozialismus), sondern um die Durchsetzung der für wahr gehaltenen eigenen Meinung. „Eine Minderheitenmeinung wird von diesen Leuten als verbindlicher Maßstab politischen Handelns dargestellt“, kritisierte Dörre die Diskussions- und Wissenschaftsfeindlichkeit aus dem esoterisch-linksalternativen Spektrum.

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