NSU 2.0 – geht es in den Sicherheitsbehörden mit RECHTEN Dingen zu?

23. November 2020  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Wie umgehen mit rechtsextremen Vorfällen in der Polizei? Bei der Online-Veranstaltung „NSU 2.0“ der LINKEN berichteten vier Frauen, die Drohbriefe des NSU 2.0 erhalten hatten, über ihr Vertrauen in die Polizei.

Die Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz trat im NSU-Prozess (2013-2018) als Nebenklagevertreterin der Familie des ermordeten Enver Şimşek auf. Schon während dieser Zeit erhielt sie Drohungen. Eine Anzeige erstattete sie allerdings erst, als sie im August 2018 ein Fax erhielt, in dem ihre privaten Daten sowie ihr Kind thematisiert wurden. Es schloss mit der Aufforderung, „deutsche Patrioten“ sollten sich um sie kümmern. Als kurze Zeit später ihre Wohnadresse im Internet veröffentlicht wurde, zog sie um und ließ die neue Anschrift sperren. Nach vier Monaten teilte ein Journalist ihr mit, ihre Anzeige hätte zum Aufspüren einer rechtsradikalen Chatgruppe in der Polizei geführt. Das LKA Hessen hätte auf ihre Anfrage kurz zuvor jedoch behauptet, es gäbe in ihrer Sache nichts Neues. Allerdings waren die sensiblen Daten von einem Dienstrechner des 1. Polizeireviers Frankfurt abgerufen worden. Auch ihre neue Adresse sei in einer Drohmail veröffentlicht worden, erklärte Başay-Yildiz. „Der Polizist, der die Daten weitergegeben oder die Mails versendet hat, wird wahrscheinlich bald wieder im Dienst sein“, bilanzierte sie pessimistisch.

Die Kabarettistin Idil Nuna Baydar wurde von einem Journalisten informiert, dass seit sechs Monaten Drohmails des NSU 2.0 mit ihrem Namen vorlägen. „Ich hätte mir erhofft, dass die Polizei ihre Arbeit macht“, sagte sie mit Blick auf die Ermittlungsbehörden. Doch diese setzten sie nicht einmal von den Todesdrohungen in Kenntnis. Dass die verdächtigen Polizisten des Wiesbadener Polizeireviers von „Verdächtigen“ zu „Zeugen“ wurden, hat für Baydar System. „Die ‚Cop-Culture‘ führt dazu, dass man sich bei Straftaten gegenseitig deckt“, erläuterte sie mit Verweis auf den engen Korpsgeist der Beamten. Es sei wichtig, dass die Polizei von solchen antidemokratischen Strukturen loslasse, forderte sie.

Auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (LINKE) erhielt per Mail ein „Todesurteil“ des NSU 2.0. Sie stelle alle zwei Wochen einen Antrag auf Akteneinsicht, da sie vermute, ihre Daten seien ebenfalls von einem Polizeicomputer abgerufen worden. Bis jetzt seien jedoch alle Anträge abgelehnt worden. Die Ordnungshüter in Berlin und Hamburg hätten ihr mitgeteilt, dass es „sehr lange dauern“ würde, eine elektronische Datenabfrage abzugleichen. „Wenn Polizisten in Frankfurt, Wiesbaden, Hamburg oder Berlin sensible Daten abrufen, handelt es sich vielleicht um ein rechtes Netzwerk in mehreren Bundesländern“, fasste sie die Vorgänge zusammen. Das habe das Potential, ein grundlegendes Misstrauen gegen die Behörden zu erzeugen, warnte Renner. Für sich habe sie auch eine klare Entscheidung getroffen: „Ich teile dem BKA, das für den Personenschutz der Bundestagsabgeordneten zuständig ist, nicht meine private Adresse mit“, erklärte sie. Zu groß sei die Angst, dass die Daten an Rechte weitergeleitet würden.

Die Daten der Drohmails, die Janine Wissler erhalten hatte, waren von einem Polizeirevier in Wiesbaden abgerufen worden. Auch in diesem Fall habe Wissler erst durch die Presse von den Vorkommnissen erfahren. Weder Polizei noch andere Behörden hätten sie über den Vorgang informiert. Durch den Login sei der Name des Beamten bekannt, doch behauptete dieser, sich an nichts erinnern zu können. „Diese Menschen haben Zugriff auf sensible Daten und eine Ausbildung an der Waffe“, warnte die Vorsitzende der LINKEN im Hessischen Landtag. Man müsse solche Straftaten ernst nehmen. Als öffentliche Person habe sie viel Zuspruch und Solidarität erfahren. Es sei jedoch wichtig, auch auf die Opfer rechter Gewalt hinzuweisen, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stünden. Etwa Muslimas mit Kopftuch, Juden mit Kippa oder Menschen mit dunkler Hautfarbe. Der NSU-Komplex habe gezeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund eher als Täter, nicht aber als Opfer von Gewalt angesehen würden. Ihre Forderungen sind eine Studie zu Rassismus in den Polizeibehörden sowie eine unabhängige Ermittlungsbehörde für Bürger*innen und kritische Beamte*innen.

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