Die Geschichte zivilgesellschaftlicher Tribunale, die sich mit verschiedenen Formen (staatlicher) Repression auseinandersetzten, war Schwerpunkt einer Veranstaltung des RWE-Tribunals in Lützerath. Der Vortrag erfolgte in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW.
Lützerath gegen RWE
Lützerath ist ein kleines Dorf an der Kante des Tagebaus Garzweiler im Rheinland. Unter den Häusern ruhen rund 650 Millionen Tonnen Braunkohle. Die Initiative „Lützerath lebt“ stellt sich gegen den Energiekonzern RWE, der die Ansiedlung räumen und zu einer weiteren Tagebaugrube umwandeln will. Das „RWE-Tribunal“ beschäftigte sich dabei mit dem Unternehmen, das mit einem CO2-Ausstoß von rund 286 Millionen Tonnen pro Jahr als größter Klimakiller Europas gilt. Emilio Alfred Weinberg (attac Deutschland) erläuterte die Geschichte solcher Tribunale vom Vietnamkrieg bis zu den Machenschaften von Blackrock und wies auf deren moralische Kriterien hin.
Vietnamkrieg vor Gericht
„Das erste Tribunal geht auf Bertrand Russell (1872-1970) zurück, der 1950 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, erklärte Weinberg. Russell initiierte 1966 das sogenannte Vietnam War CrimesTribunal, das sich mit Kriegsverbrechen der US-amerikanischen Streitkräfte in Nord- und Südvietnam beschäftigte. Unterstützt wurde der Philosoph von Persönlichkeiten wie dem Schriftsteller Jean-Paul Sartre, der Feministin Simone de Beauvoir oder dem Politikprofessor Wolfgang Abendroth. Man sammelte und überprüfte Anschuldigungen, wie etwa die Bombardierung ziviler Infrastruktur in Nordvietnam durch die US-Air-Force und veröffentlichte die Ergebnisse. Vorbild dieser Rechtsprechung waren die Nürnberger Prozesse. Das Wort Tribunal leitet sich vom römischen Amtsträger (Tribun) ab, der u.a. für die Rechtsprechung des antiken Stadtstaats verantwortlich war.
Anti-Terror-Gesetze und Finanzkrise
Nach Russels Tod kam es zu weiteren Tribunalen, die sich mit Menschenrechtsverletzungen in Südamerika (1973-76) sowie der Situation in Deutschland in Zeiten von Berufsverboten und Anti-Terror-Gesetzen (1977-79) auseinandersetzten. Zur Aufarbeitung der Finanzkrise kam es 2010 zum Attac-Banken-Tribunal in der Berliner Volksbühne. Dort wurde nach den systematischen Ursachen für die Krise gesucht, deren Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden sollten. Gegenstand der Anklage waren Bankenmanager, Verantwortliche aus Bankenaufsicht und Wirtschaftsprüfungsunternehmen ebenso wie von Rating-Agenturen und politische Entscheidungsträger.
Ökozid als Verbrechen
Das Monsanto-Tribunal ging 2016 als „außerordentliches Meinungsgericht“ der Frage nach, inwieweit Mensch und Natur durch gentechnisch veränderte Nutzpflanzen sowie das Pestizid Glyphosat geschädigt würden. Dies war das erste Tribunal, das von fünf Berufsrichter*innen geleitet wurde. Ein weiterer Schwerpunkt beschäftigte sich damit, ob der Ökozid (massive Schädigung der Ökosysteme) strafrechtlich als kriminelle Handlung verfolgt werden könne. Das Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ (2017) ging auf die Verbindungen von staatlichen Institutionen und Rechtsterrorismus ein.
Blackrock und die Kohle
Im gleichen Jahr bildete sich ein Tribunal, das sich mit der Rodung des Hambacher Forstes auseinandersetzte. 2020 kam das Blackrock-Tribunal zustande. Es sammelte Informationen über den größten Einzel-Aktieninhaber von RWE (ca. 6-7 Prozent)und warf ihm Verletzung nationalen Rechts, die Zerstörung wirtschaftlicher Demokratie, Preistreiberei bei Mieten sowie umweltzerstörende Profitmacherei, etwa mit Investitionen in Kohle- und Ölunternehmen oder in Technologien wie Fracking vor.
Weiterführende Links:
- RLS NRW (17.6.2022): Tribunal Garzweiler Kohleabbau – https://www.youtube.com/watch?v=cXSJbSLBoU0
- RWE Tribunal – https://www.rwe-tribunal.org/
- Lützerath lebt – https://luetzerathlebt.info/