Gemeinsam Arbeitskämpfe gewinnen

12. November 2023  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Deutsche und ausländische ArbeiterInnen kämpfen gemeinsam bei Hella (Foto: mao-projekt.de)

Die geschichtliche Macht der Werktätigen machte Nihat Öztürk am Beispiel der „wilden Streiks“ von 1973 sichtbar. Der frühere Geschäftsführer der IG Metall Düsseldorf-Neuss hielt seinen Vortrag bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrheinwestfalen.

Mit Gewalt gegen Streikende

Die Bedeutung für solidarisches Handeln im Arbeitskampf machte Öztürk am Beispiel zweier „wilder Streiks“ im Sommer 1973 deutlich. Im Kölner Ford-Werk sollte es zu 300 Entlassungen türkischer Angestellten kommen, die wegen der langen Rückreise aus ihrem Heimatland nach ihrem Urlaub verspätet zum Dienst kamen. Dies war der Auslöser eines Streiks, der neben dem Verbleib der Kolleg*innen auch eine Lohnerhöhung von einer Mark forderte. „Als die Streikenden das Werksgelände besetzten, wurden sie von Polizei, Werkschutz und der deutschen Belegschaft mit Knüppeln empfangen“, erklärte der früherer Geschäftsführer der IG Metall Düsseldorf-Neuss. Der Protest wurde somit gewaltsam beendet.

Mit Solidarität zum Erfolg

Anders verhielt sich hingegen die Belegschaft bei den Vergaserwerken von Piersburg bei Neuss. Hier schlossen sich nicht nur alle migrantischen Arbeiter*innen, egal, welcher Nationalität, dem Streik an, sondern auch die deutschen Facharbeiter*innen. Und da die Migrant*innen auch in zahlreichen Gremien der IG Metall vertreten waren, stellte sich die Gewerkschaft – anders als in Köln – auf die Seite der Werktätigen. „Sie setzten sich für demokratische Kernforderungen, nämlich Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit ein“, brachte Öztürk das Engagement der Arbeiter*innen von Piersburg, Köln oder Hella auf den Punkt.

Antikommunismus in Gesellschaft

Die ablehnende Haltung vieler Gewerkschaften führte der Funktionär auf das stark antikommunistisch geprägte Gesellschaftsklima in der Bundesrepublik zurück, das eben auch die Arbeitnehmer*innenvertretungen umfasste. Diese grenzten sich oftmals von den „wilden Streiks“ der sog. „Gastarbeiter*innen“, die häufig mit sozialistischen Ideen sympathisierten, ab. „1973 kam es zu rund 400 Streiks“, ging Öztürk auf den aktiven Arbeitskampf der meist aus Süd- oder Südosteuropa kommenden Kolleg*innen ein.

Angst vor Lohndumping

Zwar hatten sich die Gewerkschaften schon Mitte der 50er Jahre für eine arbeits- und tarifrechtliche Gleichstellung zwischen migrantischen und deutschen Kolleg*innen eingesetzt. Allerdings ging dieses Engagement auf die Sorge zurück, schlecht bezahlte Migrant*innen könnten seitens der Unternehmensleitung als Druckmittel gegen die organisierte Belegschaft eingesetzt werden. Doch wurden sie trotz der Gesetzgebung vielfach weiterhin bei der Entlohnung oder den Arbeitsbedingungen diskriminiert. „Vor allem einstige vom Naziregime verfolgte Gewerkschafter solidarisierten sich mit den Migrant*innen“, erläuterte Öztürk. Beispielhaft dafür sei etwa der Journalist Jakob Moneta.

„Ausländer raus“

Mit der ersten Wirtschaftsrezession der jungen Bundesrepublik 1966/67 kam es zu weiteren Rückschlägen für migrantische Arbeiter*innen. Fast 400.000 von ihnen mussten das Land verlassen, der damalige baden-württembergische Personalvorstand von Daimler-Benz, Hanns-Martin Schleyer sowie die Springer-Presse trieben die Spaltung der Belegschaft noch weiter voran. „In einigen Werken kam es daraufhin zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen migrantischen und deutschen Kolleg*innen“, erinnerte Öztürk. Politische Gewinnerin dieses Klimas war die NPD, die zwischen 1966 und 68 in sieben Landesparlamente einzog.

Gemeinsam Kämpfe gewinnen

Hält man sich diese Ausgangssituation vor Augen, könne man die Folgen der wilden Streiks von 1973 nicht hoch genug einschätzen. Denn infolge dessen kam es zur flächendeckenden Anhebung unterer Lohngruppen für angelernte Arbeiter*innen sowie dem Festschreiben von Erhol- und Bedürfnispausen am Fließband. Auch kam es zu Diskussionen um eine generelle Verkürzung von Wochenarbeitszeiten und der besseren Einbindung von Migrant*innen in die Gewerkschaften. „In Stuttgart waren 40.000 migrantische Kollegi*innen in der IG Metall organisiert“, nannte er ein Beispiel Ende der 70er Jahre. Doch seien soziale Kämpfe von migrantischen und deutschen Kolleg*innen auch heute unabdingbar, mahnte er.

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