Migrantische Arbeitskämpfe und Solidarität

24. Oktober 2023  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Der „wilde“ Ford-Streik von 1973, Gernot Huber

Die Bedeutung migrantischer Kämpfe im Betrieb und gelebter Solidarität gegen die Interessen des Kapitals waren Schwerpunkte von Nicole Mayer-Ahujas Vortrag „Hoch die internationale Solidarität?“. Die Veranstaltung mit der Soziologie-Professorin aus Göttingen wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrheinwestfalen organisiert.

Ungleichheit im Betrieb

„Beim wilden Ford-Streik in Köln legten türkische Angestellte im August 1973 die Arbeit nieder und besetzten das Betriebsgelände“, erinnerte Mayer-Ahuja. Die Aktion war Ausdruck der Differenzen von deutschen und migrantischen Arbeiter*innen. Während die deutsche Belegschaft einen hohen Organisationsgrad und dauerhafte Verträge hatte, wurden die migrantischen Kolleg*innen mit ihrer unklaren Bleibeperspektive seitens des Betriebsrats kaum vertreten.

Schutzlos in der Illegalität

Diese Benachteiligung sehe man auch heute noch. „Die Erwerbsarbeit von Geflüchteten ist häufig an deren Aufenthaltsstatus gekoppelt“, benannte die Soziologin ein Problem. Manchen bliebe nur die Arbeit in der Illegalität, wo die Menschen jedoch der Willkür der Arbeitgeber*innen ausgeliefert seien. Der Weg zum Gericht bei Verstößen gegen den Arbeitsschutz bliebe „Illegalen“ ja verwehrt.

Fleischindustrie und Pflegesektor

„In der Fleischindustrie werden den Beschäftigten aus Südosteuropa häufig ihre Pässe abgenommen“, wies die Wissenschaftlerin auf Missstände hin. Darüber hinaus müssten die Menschen für Jobvermittlung und Unterkunft einen großen Teil ihres Einkommens an den Arbeitgeber oder spezielle Organisationen zahlen. Auch der Pflegebereich setze stark auf Tochterfirmen mit einem hohen Anteil migrantischer Angestellter. „Das Reinigungs- und Küchenpersonal wird häufig schlechter bezahlt“, nannte Mayer-Ahuja eine Konsequenz dieser außerhalb der Tarifbindung befindlichen Unternehmen. Doch habe es die Pflege-Bewegung in Berlin geschafft, diese ausgelagerten Mitarbeiter*innen zusammenzubringen, hebt sie hervor.

Kapitalismus spaltet Arbeiter*innenschaft

Damit seien die Aktivist*innen einer marxistischen Kernforderung gefolgt: „Proletarier*innen aller Ländern, vereinigt euch!“ (Manifest der Kommunistischen Partei, 1848). Denn diese internationale Aussage müsse sich auch im eigenen Betrieb beim Verhältnis von einheimischen und migrantischen Arbeiter*innen widerspiegeln, erklärte sie. „Im Kapitalismus ist die Spaltung der arbeitenden Klasse der Normalzustand“, bilanzierte Mayer-Ahuja. Denn hier stünden nicht nur Betriebsstandorte, sondern auch die einzelnen Mitarbeiter*innen im Betrieb in Konkurrenz zueinander. „Die Fragmentierung verläuft nicht nur entlang der Hierarchie, sondern auch in verschiedenen Branchen, bei Geschlecht oder eben dem Migrationsstatus“, mahnte sie an.

Solidarität und Demokratisierung

Um den kapitalistischen Kampf aller gegen alle in Frage zu stellen, brauche es Solidarität. Diese gründe sich auf einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit der Beschäftigten. In kollegialem Miteinander stellten sie sich gemeinsam anderen Interessen entgegen. „Solidarität wird im aktiven Handeln, etwa in Arbeitskämpfen, sichtbar“, erklärte die Wissenschaftlerin. Als Einzelne*r müsse man sich die Frage stellen: „Will ich mich gegen die Unternehmensführung oder gegen meine migrantischen Kolleg*innen durchsetzen?“ Um das solidarische Handeln zu fördern, brauche es eine Stärkung der Betriebsräte und Gewerkschaften, eine Demokratisierung von Betrieben und universelle Standards, die auch für Migrant*innen gelten, regte Mayer-Ahuja an.

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