Rosalux: Geschichte der Gewerkschaften

05. Dezember 2022  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

„Unsere Alternative heißt Solidarität. Für Respekt und gleiche Rechte – Gegen Spaltung und rassistische Hetze!“ Streikende am 10.4.2018 in Berlin. (Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Lohnerhöhung, der 8-Stunden-Tag und Urlaubsgeld? Die Gewerkschaft macht es möglich! Die 20. Folge von Rosalux History dreht sich ganz um die Entstehung und Erfolge von Gewerkschaften.

Mittelalter und Industrialisierung

Als Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten sind Gewerkschaften die wichtigste Interessenvertretung von Arbeiter*innen. Denn wie schon Karl Marx sagte: „Die Befreiung der Arbeiterschaft kann nur Sache der Arbeiter sein!“ Waren die mittelalterlichen Zünfte lediglich Körperschaften des damaligen Ständesystems und keine Organisation der Handwerksgesellen u.a., änderte sich dies mit der von Großbritannien ausgehenden Industrialisierung. Diese führte dazu, dass sich auf der einen Seite die kapitalistische Bourgeoisie, auf der anderen das mittellose Proletariat bildete.

„Doppelte Freiheit“

Diese Lohnarbeiter*innen waren zum einen nicht mehr an die Verordnungen der alten Handwerkszünfte gebunden und somit als juristische Personen frei. Zum anderen waren sie jedoch auch frei vom Eigentum an Produktionsmittel (Werkzeug, Maschinen), da diese im Besitz der Fabrik-Chefs waren („Doppelte Freiheit“). Sie mussten ihre Arbeitskraft also an die Besitzer der Unternehmen verkaufen.

Frauen- und Kinderarbeit

In England bildete sich Ende der 1830er Jahre mit den Chartisten die erste unabhängige Arbeiter*innenbewegung. In Deutschland führte der Einsatz von mechanischen Webstühlen und der damit einhergehende Verlust menschlicher Arbeitskräfte zum Schlesischen Weberaufstand (1844). Aufgrund der geringen Löhne war Frauen- und Kinderarbeit Normalität, um das Auskommen der Familie zu gewährleisten. Staatliche Einschränkungen wie das Gesetz zur Regulierung jugendlicher Arbeiter in Preußen hatten keinen sozialen Ursprung. Das Militär hatte Sorgen, die exzessive Kinderarbeit könne sich negativ auf den anschließenden Wehrdienst auswirken.

Arbeiter- und Bildungsvereine

In den städtischen Ballungszentren taten sich verschiedene Berufsgruppen, etwa die Drucker und Setzer, Maurer oder Schuster zusammen. Arbeitervereine eröffneten Solidaritätskassen, in denen Geld für die Familien kranker oder verstorbener Mitglieder eingezahlt wurde. Arbeiterbildungsvereine bauten eigene „Schulstrukturen“ auf. Im liberalen Ausland, wie etwa in Frankreich, gründeten sich Arbeiterauslandsvereine. Der dortige „Bund der Gerechten“ nannte sich 1847 um in „Bund der Kommunisten“.

Streiks und Tarifvertrag

Erst mit der Deutschen Revolution von 1848/49 entstehen Gewerkschaften im modernen Sinne. Nach dem Sieg der monarchistischen Konterrevolution werden jedoch Erfolge wie das Streik- und Koalitionsrecht rückgängig gemacht, die Arbeiterorganisationen verboten und deren Anführer verfolgt. 1865 entstand in Leipzig mit dem Allgemeinen Deutschen Zigarrenarbeiter-Verein die erste gesamtdeutsche Gewerkschaft. 1869/70 kam es zu Massenstreiks tausender Bergarbeiter in Niederschlesien. In Berlin erkämpften sich die dortigen Maurer 1871 den 10-Stunden Tag. Zwei Jahre später gab es mit dem Allgemeinen deutschen Buchdrucker-Tarif die erste nationale Vereinbarung zu Löhnen und Arbeitsbedingungen.

Partei und Gewerkschaft

1863 gründete Ferdinand Lasalle mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein die erste politische Partei. 1869 folgten August Bebel und Wilhelm Liebknecht mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Aus der Vereinigung beider Gruppierungen entstand 1875 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), die 1890 den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) annahm.

Die Gewerkschaften dieser Zeit standen als „Richtungsgewerkschaften“ Parteien oder Weltanschauungen nahe. So vertraten die Freien Gewerkschaften mit rund 2,5 Millionen Mitglieder einen sozialistischen Kurs, während die liberal ausgerichteten Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine (1910: ca. 122.000 Mitglieder) auf bessere Arbeitsbedingungen per Gesetzgebung setzten. Christliche Gewerkschaften, die der katholischen Soziallehre anhingen, waren nur in religiösen Hochburgen aktiv, anarchistische Strömungen um Johann Most erreichten keinen nennenswerten Einfluss.

„Sozialistengesetz“

Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 kam es mit dem Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie („Sozialistengesetz“, 1878-90) zum Tätigkeitsverbot von SPD und Gewerkschaften. Die Bismarcksche Kranken- Unfall- und Rentenversicherung zielte stattdessen darauf ab, die Arbeiter*innenschaft als kaisertreue Anhänger*innen zu gewinnen. Doch die Subkultur, die sich in Massenorganisationen in den Bereichen Sport, Bildung und vielem mehr entwickelte, war gegen diese obrigkeitsstaatliche Einflussnahme resistent.

Reform oder Revolution?

Innerhalb der SPD entspann sich eine Debatte, ob der Weg zum Sozialismus über parlamentarische Reformen oder den revolutionären Umsturz des Systems ging. Während sozialistische Politiker*innen wie Rosa Luxemburg den Massenstreik als Maßnahme der Gewerkschaft zur Erreichung politischer Ziele – etwa dem Allgemeinen Wahlrecht in Preußen) – einsetzen wollte, lehnen die Gewerkschaften selbst diese Kampfform ab, da sie die staatlichen Repressionen fürchten.

Kriegsbegeisterung

Im August 1914 sprechen sich die Gewerkschaften für einen „Burgfrieden“ aus, verzichten also während des Ersten Weltkriegs auf Lohnerhöhungen und Streiks. Gleichzeit führt das Hilfsdienst-Gesetz dazu, dass grundlegende Arbeiterrechte außer Kraft gesetzt werden. Auch die SPD stimmt mit der Billigung der Kriegskredite in den patriotischen Chor von Kaiser und Vaterland ein. Erst 1916 wenden sich einzelne Gewerkschafter der USPD zu, um gegen den Krieg zu protestieren.

Kooperation statt Konfrontation

Nach der erfolgreichen Novemberrevolution von 1918 sichern sich die Gewerkschaften im Gespräch mit den Unternehmern den 8-Stunden-Tag, Organisationsfreiheit sowie die Position als alleinige Verhandlungspartei bei Tarifabschlüssen. Der Räte-Bewegung stehen sie distanziert gegenüber, da die Demokratisierung der Gesellschaft durch Verhandlungen, nicht mittels eines Bürgerkriegs wie in Russland (1917-23) erfolgen solle. Dem rechtsgerichteten Kapp-Putsch begegnet der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund mit einem Generalstreik. Über 12 Millionen Menschen legen aus Protest die Arbeit nieder und retten so die demokratische Regierung.

Anbiederung und Zerschlagung

Mit der Machtübertragung an Adolf Hitler bieten Freie und christliche Gewerkschaften dem neuen Reichskanzler ihre Mitarbeit an. Daraufhin führt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei den 1. Mai als gesetzlichen „Tag der Arbeit“ ein. Am 2. Mai werden Gewerkschaftshäuser besetzt, deren Vermögen beschlagnahmt und Funktionäre in Konzentrationslager gebracht. Am 10. Mai kommt es mit der Gründung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zur Gemeinschaft von Unternehmern und Belegschaft ohne gewerkschaftliche Einflüsse.

Ost und West

1946 bildet sich in der sowjetischen Besatzungszone mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) eine von der SED politisch dominierte Organisation ohne nennenswerte gewerkschaftliche Möglichkeiten. In den drei Westzonen bildet sich 1949 mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eine Einheitsgewerkschaft aller Arbeitnehmer*innen, die sich nicht nach politischer Ausrichtung auseinander differenziert.

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